Asra Dar Dilan: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 9. Juli 2011, 19:51 Uhr
Passende Musik
Solace - Paradise Lost
Dead can dance - Out of the labyrinth
Äußerlichkeiten
Das Markanteste an Asra sind, wenn man den Anblick von Verborgenen gewöhnt ist, ihre Haare. Sie wirken sehr dunkel - offenbar ein tiefes Dunkelbraun mit einem Tick ins Schwarze rein, doch sobald Licht auf diese fällt, sieht man in den Haaren einen dunkelroten Glanz. Doch auch ihre Frisur mag für manche ungewöhnlich sein - unzählige, schmale, lange Zöpfe, teils mit Holzperlen und Bändern verziert, fallen über ihre Schultern hinab und ab und an auch ins Gesicht.
Ihr Gesicht selber wird vor allem von ihren sehr dunklen Augen geprägt, die zwar dunkelbraun sind, aber besonders bei diffusen Lichtverhältnissen schon nahezu schwarz wirken. Ihre Lippen wiederum sind voll und weich, denn offenbar scheint sie diese selbst auf Reisen zu pflegen, wie auch den Rest des Körpers, denn ihre Haut fühlt sich ebenso weich an und trägt keine Muttermale oder Narben.
Zierlich und eher klein ist sie wie so viele andere südländische Frauen und auch die dunkle Haut ist recht typisch für ihr Volk. Doch hinzu kommt, dass ihre Statur ein wenig mehr ins Knabenhafte gerät. Hüften und Brust sind nicht allzu stark ausgeprägt und würde sie weite Kleidung tragen und ihr Gesicht stark verhüllen, könnte sie unter Umständen auch als junger Mann durchgehen.
An ihrem Körper trägt sie zudem Tätowierungen, die auf ihre Geburtselement - den Wind - hindeuten.
Ihre Kleidung ist meist eher robust und verhältnismäßig einfach, doch trotz ihrer wenig fraulichen Statur, trägt sie gerne Röcke und knappe, enganliegende Oberteile, die die (kaum vorhandene) Brust betonen.
Seit kurzem fallen rote Brandnarben an ihrer linken Handfläche auf.
Was sie häufig bei sich trägt
Geisterszepter
Stets an ihrem Gürtel steckend, bisweilen auch in ihrer Hand ruhend und außerhalb des Reiches der Verborgenen oftmals vorsorglich mit einem Tuch verhüllt, ist ihr Geisterszepter. Jener eher kurze Stab besteht aus Mangrovenholz, was wiederum spiralförmig gewunden wurde, wobei die Windungen in einem sehr dunklen, metallischen Ton schimmern, als hätte jemand Schattenstein geschmolzen und darauf einer Farbe gleich verteilt. Am Kopfende befindet sich tatsächlich ein Kopf - der Schädel eines Tieres, wobei Tierkundler ihn als Antilopenschädel identifizieren können. Am Szepter befestigt findet man noch weitere Knochen einer Antilopen, wie auch einen seidigen Faden, der einige Falkenfedern hält und die leicht im Wind wehen.
Berühren Fremde den Stab, werden sie ein eher unangenehmes Gefühl verspüren - ein steter Wechsel zwischen Wärme und Kälte samt einem unschönen Kribbeln, wo sie den Stab berühren.
Beutel mit Phiolen und Flaschen
An einem Gürtel trägt sie meist eine kleine, leicht gepolsterte Tasche, die jedoch leicht zu öffnen ist. In dieser findet man etliche Phiolen und Flaschen, die jedoch einen eigentümlichen Inhalt haben - die meisten haben einen sich ständig bewegenden Nebel als Inhalt, ein paar wenige wiederum scheinen innerlich eine Art nebelartigen Sturm zu tragen, welcher sich auf eher chaotische Art und Weise bewegt. Unkundige könnten das Gefühl haben, das Innere der Flaschen und Phiolen lebt förmlich.
Geschichten
Herkunft und Schicksal I
Mein Name ist Asra Dar Dilan. Ich bin ...
Und hier endet es. Aber kann man wirklich von einem Ende sprechen? Ich weiß es selber nicht. Noch nicht, doch ich hoffe, es bald herausfinden zu können.
Herkunft und Schicksal II
Es gibt Menschen, die Schutz in festen Bauten und hinter hohen Mauern suchen. Ein meist gleichbleibender Ablauf im Alltagsleben, ein festes Dach über dem Kopf, vielleicht sogar, wenn sie am Rande einer Oase leben, etwas Ackerbau.Aber es gibt auch welche, die das Reisen vorziehen. Nomaden oder eben Kinder des Windes.
Als ein solches wurde ich vor 22 Jahren geboren und passenderweise genau im Zeichen des Windes. Meine Mutter war eine einfache Sammlerin, die sich nach essbaren Wurzeln, Beeren und Früchten umsah, während mein Vater als Jäger für das Fleisch unseres kleinen Stammes sorgte. Mein Onkel führte ihn an, bestimmte, wohin wir reisten und wer welche Aufgabe übernahm. Meine Großmutter wiederum war die Schamanin des Stammes und sorgte mit ihrer Weisheit für Heilung und Ratschlag. Vor allem war sie bewandert im Deuten der Zukunft. Sie las sie in den Sternen, in Tierknochen, in dem Flug der Vögel, in dem Tanz der Flammen und dem Rauch des Feuers oder auch einfach in ihren Träumen. Die Zukunft eines jeden Stammesangehörigen hatte sie mal mehr, mal weniger diffus oder klar erkennen können - nur meine nicht.
Traditionell war sie eine der ersten, die das Kind, welches neu geboren war, sah, für das Wohlwollen der Ahnen zu sorgen und die Geister um und in unserem Stamm milde zu stimmen versuchte, das Kind sogar mit manchen Vorkehrungen vor dem Besuch eines bösartig gestimmten Geistes zu schützen versuchte. In Folge dessen bemühte sie sich die Zukunft eines jeden Neugeborenen zu lesen, was ihr bei mir das erste Mal in ihrem Leben schlichtweg nicht gelang. Nicht ein einziges Bild, nicht mal ein Gefühl oder ein Geräusch, was von meiner Zukunft künden könnte, nahm sie wahr. Damals vermutete sie sogar, dass ich bald schon sterben würde, was im Säuglingsalter keine Seltenheit bei uns Nomaden ist. Doch ich lebte und nichts Schlimmes geschah weiter. Kein böser Geist suchte mich heim, stattdessen wuchs ich vollkommen normal auf. Immer und immer wieder versuchte Großmutter etwas zu erkennen, doch sie sollte auch in Zukunft keinerlei Erfolg bei mir haben, was sie schlichtweg verwirrte.
Das Deuten der Zukunft eines Kindes hat mehrere Vorteile - man war unter Umständen nicht nur gewarnt und konnte versuchen, auf den Fluss des Schicksals Einfluss zu nehmen - die Eltern konnten ihr Kind schon früh auf das vorbereiten, wofür es geboren war. Neben den von mir erwähnten Verwandten und meinen Geschwistern, gehörten auch noch weitere Personen unserem Stamm an und darunter fand man auch Kämpfer, wie Zahid, welcher mich noch heute begleitet. Jeder fand so schon früh seinen Platz. Allein ich wusste nicht so recht, wohin ich gehören sollte.
So ging es in einem fort und die Jahre zogen ins Land, während unser Stamm durch die Wüste und die Gebirgsränder zog, an Oasen Halt machte, Wasser auffüllte, Früchte sammelte, in größeren Gewässern auch fischte.
In der Zwischenzeit hatte meine ältere Schwester begonnen, bei unserer Großmutter zu lernen. Sie sollte später die Schamanin unseres Stammes werden - so hatte es Großmutter in ihren Träumen gesehen. Sagte sie jedenfalls.
Damals, ich war nun gut 14 Jahre alt und kürzlich zur Frau erblüht, was bei uns stets gefeiert wurde, fragte ich, als ich das Fischen satt hatte und etwas Neues lernen wollte, ob ich dem Unterricht ebenso beiwohnen durfte. Lange hatte mich Großmutter mit ihren dunklen, fast schwarzen Augen betrachtet. Ein Blick, bei dem man immer das Gefühl hatte, sie würde einem tief in die Seele blicken. Ich hatte es mir angewöhnt, ruhig zu bleiben bei diesem Blick. Dieses Mal starrte ich sogar zurück, als wäre es ein kleiner Wettbewerb für mich gewesen. Dann, nach einer kleinen Weile, lächelte sie nur mild und erlaubte es mir. Aber ich hätte mich zu benehmen. Als kleinen Derwisch hatte sie mich schon manches Mal bezeichnet, da ich selten ruhig an meinem Platz bleiben konnte (der Grund, warum mir das Fischen natürlich nicht lag). Auch sollte ich endlich einmal länger bei einer Sache bleiben, schärfte sie mir etwas strenger ein.
In den kommenden Jahren wohnte ich vielen Ritualen und Gesprächen bei. Zwar ergriff ich nie selber die Initiative und schwieg die meiste Zeit, aber dafür lauschte ich umso aufmerksamer.
Worum es dabei ging erzählte mir aber Großmutter dennoch. So suchte meine Schwester einst einen Geist, der sie begleiten würde. Üblich war es, diesem Geist ein Heim anzubieten. Manche nutzen dafür Flaschen, andere Amulette, andere kleine Laternen.
Manchmal übte ich sogar heimlich die Tänze, die meine Schwester getanzt hatte. So hatte ich ihr einmal heimlich eine Tiermaske entwendet, die einen Löwenkopf darstellen sollte und ich begann in einer Nische - wir lagerten gerade am Rande eines Gebirges - um ein kleines Feuer zu tanzen, ging sogar auf alle Viere hinab und fauchte und "brüllte" wie ein Löwe. Ich glaubte sogar zu spüren, wie ich stärker wurde ... bis ich ein Lachen hörte.
Zahid Nur Jabalah, ein Krieger unseres Stammes und ein paar Jahre älter als ich, hatte mich offenbar gefunden, denn immerhin war es auch seine Aufgabe, auf die Mitglieder des Stammes zu achten und unzweifelhaft amüsierte ihn mein Auftreten.
Vollkommen verdattert hielt ich inne, rappelte mich sogar rasch und wie ertappt wieder auf zwei Beine auf. Beschämt eilte ich davon, ohne ein Wort zu ihm zu sagen. Einen Moment folgte mir noch das Lachen, bis ich mich schweigend in das Zelt meiner Familie verkroch und die Decke über meinen Kopf gezogen hatte. Manches Mal zog er mich noch damit auf, aber verraten hatte er es wohl niemanden - wofür ich dankbar bin.
So hätte also das Leben weiterziehen können. Ich als unstetes Windkind eine Tätigkeit nach der anderen ausprobierend, derweil ich weiterhin meiner Großmutter und Schwester lauschte.
Mal glaubte ich sogar, ich könnte meine Zukunft in einer Familie finden, als ich mich in einen Stammesangehörigen verliebte, aber mehr als Küsse und gemeinsames Sitzen am Feuer und sich ab und an ein schüchternes Lächeln zuwerfen, gab es nicht und so begrub ich auch die Idee.
Als ich noch nicht ganz 20 Jahre alt, starb Großmutter und meine Schwester nahm ihren Platz nun als vollwertige Geisterbeschwörerin ein. Der Unterricht endete also und ich konnte ihr bestenfalls zur Hand gehen, wenn sie mit verschiedenen Utensilien wie Rauchgefäßen, Flaschen, Masken und Instrumenten hantierte.
Doch dann, vor wenigen Wochen erst, passiert etwas, was unser aller Leben drastisch verändern sollte ...
Herkunft und Schicksal III
Meine Schwester hatte scheinbar nicht die Gabe, in die Zukunft blicken zu können. Einzig an Deutungsversuche wagte sie sich, indem sie die Muster, die die geworfene Knochen bildeten, zu deuten versuchte. Doch mehr als eine reine Interpretation war es nicht und auch die "sehenden Träume", wie es Großmutter immer nannte, blieben aus.
So sahen wir zu spät das Unglück, was in Form eines gewaltigen Sandsturmes auf uns zuraste.
All die Jahre zuvor hatten wir uns in der Hinsicht immer auf Großmutter verlassen können, doch nun waren wir entsprechend verwundbar und schwere Wunden waren es auch, die der
gewaltige Sandsturm in unserem Stamm hinterließ.
Viele starben, viele wurden schwer verletzt und ebenso gingen viele verloren in dem brausenden, schmerzhaften Inferno aus Wind und Sand. Mit unseren Tieren und alles, was wir besaßen, verhielt es sich genauso. Schwer war die Reise zum nahen Gebirge, als der Sturm sich gelegt hatte und erst hier hatten wir endlich Gelegenheit die geschlagenen Wunden zu betrachten und zu versorgen.
Keiner von ihnen war vertraut mit den korrekten Totenriten. Sie wussten bloß grob, was getan werden musste und so lag es an mir, die Toten für ihre Reise ins Totenreich vorzubereiten und eine Nacht lang Wache zu halten, obgleich ich selber verletzt und vor allem entsetzlich müde war. Durstig war ich, denn wir hatten nur noch wenig Wasser und diejenigen, die noch in der Lage waren, sich auf eine Wanderung zu machen, hatten sich auf den Weg tiefer ins Gebirge gemacht, um nach Wasser und vielleicht auch Früchten oder Wild zu suchen.
Auch der Hunger plagte mich, aber ich hielt stand und so starrte ich in der Nacht von meinem Platz, etwas abseits des restlichen Stammes und seines Lagerfeuers, in den Sternenhimmel, still trauernd und der Toten gedenkend, wie es Brauch war, doch meine eigentliche Aufgabe war auch das Wache halten, um zu verhindern, dass übermütige oder sogar bösartige Geister Besitz von den Körpern der Toten ergreifen könnten. Ein kleines Feuer war es nur, was in meiner Nähe loderte und eingehüllt war ich in eine der wenigen Ziegenhaardecken, die wir noch besaßen. Mein Magen knurrte wieder und ich rieb mir zum wiederholten Male die müden, brennenden Augen, als ich ein leises Rufen vernahm.
Ich drehte den Kopf, sah umher in der felsigen Umgebung, die lange, tiefe Schatten im Mondlicht warf. Meinen Namen glaubte ich zu hören und schaudernd richtete ich mich auf. Wacker bleiben, sagte ich mir, kein Geist darf diese Nacht den Toten zu nahe kommen. Näher kam die Stimme, eine warme Brise, was ungewöhnlich in der Nacht ist, streifte mich und fast glaubte ich zu spüren, dass eine Hand sanft über mein Haupt strich.
"Asra, meine kleine Asra. Nie hätte ich gedacht, dass du es wirst."
Ich blinzelte verblüfft, sah mich erneut um, sah jedoch niemanden. Doch die Stimme, da war ich mir sicher, war die meiner Großmutter.
Ich rief sie, doch sanft lachte sie.
"Du machst es schon richtig, Asra. Denn das ist dein Weg und ich sehe nun, warum er vor mir verschleiert war."
"Warum?"
"Ich muss wieder gehen, mein Kind. Irgendwann sehen wir uns wieder."
"Großmutter!" rief flehend ich in die Nacht hinaus und spürte, wie die Kälte wieder zunahm.
Doch da war nichts als Schweigen und das leise Säuseln des kühlen Nachtwindes, der mich frösteln ließ.
Aufgewühlt setzte ich mich wieder ans Feuer und hatte das unangenehme Gefühl, etwas würde mich beobachten. Nicht, dass es für mein Volk so ungewöhnlich wäre, ist doch alles beseelt, aber in dem Moment hatte ich das Gefühl, sämtliche nichtmateriellen Augen wären auf mich gerichtet und ich hätte mich zu beweisen.
Die Nacht verging ohne weitere Vorkommnisse und am nächsten Tag wurden die Körper der Toten gemäß unserer Stammesriten erst verbrannt, ehe ihre Asche im Wind verteilt wurde. Ich war nervös bei dieser Zeremonie, die ich zu leiten hatte. Ich war es nun, die im Fokus der Aufmerksamkeit all der restlichen Stammesmitglieder stand. Manches Mal wankte meine Stimme, wenn ich die althergebrachten Worte sprach, doch am Ende war es geschafft und ich hoffte bloß im Stillen, die anderen waren zufrieden.
Die nächsten Wochen verblieben wir am Rande des Gebirges, denn die Verwundeten wurden weiter gepflegt und man besprach das weitere Vorgehen. Es dauerte, bis eine Lösung für unseren Stamm gefunden wurde. Eine Lösung, die das Ende des Stammes bedeutete und entsprechend schwer fiel es meinem Onkel, dieses zu verkünden. Der Stamm war nun zu klein und zu schwach, um weiter bestehen zu können und so sollten wir uns alle aufmachen und uns entweder einen anderen Stamm suchen oder uns in den Oasen niederlassen.
Die Kinder des Windes waren damit Geschichte.
Der Abschied fiel mir schwer und ich wusste beim besten Willen nicht, wohin ich gehen sollte. Ich entschied mich daher einem Stammesmitglied zu folgen, indem ich mich einfach im Kreis drehte, die Augen kurz schloß und als ich die Augen öffnete, schlicht den nächstbesten Fußspuren folgte - es waren die von Zahid.
Herkunft und Schicksal IV
Teils tut er mir leid, dass er mit meiner Anwesenheit nun geschlagen ist, zumal er ein gewissenhafter Beschützer ist. Doch vielleicht kann ich mit seinem Schutz tatsächlich zu etwas heranreifen und etwas werden?
Vielleicht eine Geisterbeschwörerin?
Das klingt so fern und gar nicht nach mir. Ich weiß, dass ich manchmal etwas anstrengend bin und so gar nicht meiner verstorbenen Schwester oder meine Großmutter gleiche.
Es wird sich zeigen, ob es mein Weg ist. Allein - es macht mir etwas Angst, denn das Dasein eines Geisterbeschwörers ist ungleich gefährlicher als der eines Ziegenhirten oder Fischers.
Das Geisterszepter
Als ich an diesem Morgen erwachte und die heiße, doch leicht feuchte Luft der Oase einatmete, war eines der ersten Empfindungen ein dumpfer, beständiger und warmer Schmerz in meiner linken Hand. Müde erhob ich mich, taumelte in meiner leicht zerknitterten Kleidung zu einem Brunnen und schöpfte mit der rechten Hand mittels einer flachen Schale Wasser, um die linke Hand dort einzutauchen. Stark gerötet war die Haut, hier und da eine Blase, doch ansonsten fühlte sich die Hand vor allem hart und steif an, wenngleich ich es eh nicht wagte, sie großartig zu bewegen. Ich nahm etwas Stoff aus einer Tasche, von dem ich dachte, ich würde ihn vielleicht mal für Zahid benötigen, wenn er wieder schwer verletzt von einem Kampf zurückkehrt, doch stattdessen tauchte ich den Stoff in das kühle, frische Wasser ein und band ihn mir um die Hand.
Ich weiß nicht, was meine Hand so derartig verletzt hat.
Jeder andere Mensch wäre wohl in Panik geraten und auch mir wurde an diesem Morgen mulmig zumute, denn das Szepter gestern war meine erste Aufgabe - was würde mich also noch erwarten? Und doch war es nicht zu ändern. Mein Weg war nun der Weg der Geister - das stand fest.
Vor einigen Tagen sprach ich mit Arif am oberen See der Oase. Dort, wo die Luft noch etwas kühler und feuchter ist und das frische Wasser direkt aus dem Gestein zu sprudeln scheint, zeigte er mir einen Stein, der im ersten Moment aussah, wie jeder andere. Er hieß mich, den Stein zu berühren, was ich tat und da fühlte ich etwas - mir wurde mal heiß, mal kalt. Abwechselnd, doch nicht unangenehm und am Stein selbst erkannte ich nun Glyphen, die ich nicht zu entziffern wusste. Dies, so sagte es mir Arif, wäre der Beweis, dass der Weg der Ahnen für mich bestimmt wäre. Dass meine Großmutter es nie erkannt hatte, mochte wiederum auch einen Grund haben. Vielleicht hatten die Ahnen ihn verschleiert. Doch aus welchen Grund? Das galt es irgendwann rauszufinden. Oder ich würde es noch von selbst merken. Wer weiß.
Danach gab mir Arif meine erste Aufgabe. Er hatte mir sein Geisterszepter gezeigt. Einen eigenartigen Stab, wie ihn auch so in der Art meine Großmutter und meine Schwester stets bei sich getragen hatten, wenngleich jeder etwas anders aussah. Offenbar also ein wichtiger Ritualgegenstand. Meine Aufgabe war es also nun, Materialien dafür zu suchen. Ich würde es selber erkennen, ob das Material, was ich berühre, das richtige für den Stab wäre.
So war es auch - die Knochen von Antilopen, die Federn eines Falken, ein Seidenfaden, das Holz eines Sumpfbaumes und am Ende noch ein Barren eines schwarzen Metalls, Schattenfels, waren das Material, aus dem mein Stab bestehen sollten. Es war teils eigenartig und ich muss zugeben, so etwas, wie das, was ich fühlte, sah oder spürte, war mir bisher noch nie widerfahren. Als ich das erste Mal die Antilopenknochen, die mir Zahid gegeben hatte, in den Händen hielt, sah ich die Tiere, wie sie durch die Wüste wanderten in ihrer Herde ... so wie einst unser Stamm. Bei den Federn hatte ich die Freiheit des Falken gespürt, beim Seidenfaden für einen Moment gesehen, was aus dem, was in dem Kokon, dessen Teil der Faden einst gewesen war, hätte werden können, nämlich ein herumflatternder Falter. Bei dem Holz hatte ich förmlich die erdige Feuchtigkeit und Kühle wahrgenommen und der Schattensteinbarren, tja, der war der Rätselhafteste. Ich kann das Gefühl noch immer nicht in Worte fassen. Es war vor allem Kälte, die ich gespürt hatte. Dunkelheit, Flüchtigkeit, Unbeständigkeit, dunkle Herrschaft, grelles Licht und tiefe Schatten. Egal. Bei den anderen Barren hatte ich dafür nichts Ungewöhnliches wahrgenommen, so dass er offenbar richtig war.
Am gestrigen Abend traf ich nun Arif und wir machten uns wieder auf den Weg zum See. Er warnte mich noch, bevor wir begannen - ich müsste mit meinem Geist meinen Körper für den Moment loslassen und acht geben, damit ich am Ende wieder ich selbst sein kann. Ein Geist sollte also meinen Leib übernehmen und den Stab herstellen.
Unsicherheit keimte durchaus in mir auf. War ich wirklich bereit? Wollte ich das weitermachen? Sollte ich nicht lieber umdrehen und etwas anderes in meinem Leben versuchen? Kurz keimte der nicht sonderlich ernst zunehmende Gedanke auf, dass ich mich noch nicht im Schmiedehandwerk probiert hatte. Doch ich sah Zahid vor mir und glaubte ihn zu hören - ich sollte endlich etwas zu Ende führen. Davon ab - konnte ich mich wirklich meinem Schicksal entziehen? Letztlich dachte ich auch an meine Großmutter, wie sie vor vielen Jahren zu meiner Schwester gesagt hatte, dass es immer eine Schamanin des Stammes der Windkinder geben muss. Ich war die letzte.
Ich atmete tief durch, sammelte mich noch einmal, suchte einen Moment Ruhe, ehe ich dann die Phiole an mich nahm, die mir Arif gab, öffnete sie, während ich versuchte, loszulassen. Ein Nebel drängte aus der Phiole und auf mich zu ...
Was danach geschah? Ich weiß es nicht.
Freiheit!
Verflucht seien die Sterblichen und ihre Angewohnheit, alles in zu enge Gefäße und Käfige sperren zu müssen!
Aber nun war sie da, die Freiheit und vor mir ein Körper, der förmlich danach schrie, besetzt zu werden. Ein Körper, den man bewegen und nutzen konnte. Allein, irgendwas drängte mich, als hätte mich etwas oder jemand an eine Leine gelegt.
Sterbliche, pah!
Ich sah gleich, was getan werden musste. Ein Stab also? Nichts leichter als das.
Das Holz hob ich an vor meinen Augen, die - flammend zuerst, dann glühend - gewiss ungemein erschreckend auf nichtsnutzige Menschlinge wirken mussten. Ich wollte alles aufbieten, um ihnen zu zeigen, dass man nicht so mit mir umspringen konnte!
Wie auch immer. Ich griff zum Holz, wand es in den puren Händen, so dass es eine verdrehte Form erhielt. Danach verband ich die Knochen und das Holz, befestigte mit dem Seidenfaden die Federn an dem Stab und griff schlussendlich zu dem Metallbarren.
Ich sammelte nochmals meine ganzen Kräfte und pustete meinen heißen Atem über das zuvor kühle Metall, was in der linken Hand dieses dummen Menschlings rasch heiß wurde und zu schmelzen begann. Innerlich lachte ich auf. Das wird dieses dumme Ding ewig an mich erinnern!
Sodann jedoch verzierte ich mit dem schwarzen Metall die Windungen des Stabes, als hätte ich bloß Farbe in der Hand und letztlich glimmten Glyphen in der Sprache der Geister und Ahnen an ihm kurz auf - das Werk war vollbracht und ich präsentierte den Stab! Wer konnte das auch besser als ich?
Ich hörte die Stimme des anderen, der gegenüber dem Körper, in dem ich saß, hockte.
War er derjenige, welcher ...
Doch bevor ich den Gedanken weiterführen konnte, nahm ich eine andere Präsenz war. Mir war, als wenn sich jemand förmlich herandrängte. Allzu einfach wollte ich es dieser Sterblichen nicht machen und stemmte mich dagegen an. Verzweifelt wirkte es kurzzeitig, wie sie dagegen hielt, sich dann aber zusammenriss und mich mit geballter Kraft wegstieß.
Sterbliche ...
Das erste, was ich sogleich wahrnahm, war der entsetzliche Schmerz in meiner linken Hand. Irgendwas verflucht Heißes musste ich damit gehalten haben und eilig tauchte ich die Hand in das kühle Wasser der Quelle ein, was mir kurzzeitig Linderung verschaffte.
Arif sprach davon, dass solche Rituale eben auch bleibende Erinnerungen in Form von Narben hinterlassen könnten und zeigte mir seine. Auch er wusste nicht, wie es dazu kam und während meines Rituals war er wohl ebenso körperlich nicht unbedingt anwesend gewesen, um dies zu beobachten.
Du wirst dich verändern, Asra. Das sagte ich mir im Stillen. Ich würde wohl nie eine Frau werden, die man wegen zarter Hände und herausragender Schönheit loben würde. Aber das war eine Erkenntnis, die ich schon vor langer Zeit gewonnen hatte. Mir war es eh gleich. Eigenartig nur, dass mir bei den Gedanken Zahid einfiel und wie er mich ansah, als ich das erste Mal die Essenz aus dem Leib einer Antilope, welche ich zuvor schwach vernommen hatte, gelöst hatte, um sie in eine Phiole zu verschließen. Schwer war er zu deuten. Vielleicht eine Art Respekt? Aber auch gepaart mit eine wenig Furcht? Ich tat immerhin etwas, was ich mir selber noch schwer erklären konnte. Aber andererseits hatte ich immer nach einem festen Platz gesucht. Eine Aufgabe, die ich erledigen konnte und durfte. Nun hatte ich eine und das erste Mal würde ich nun an meiner linken Hand davon tragen.
Noch während ich meine Hand ins Wasser hielt, bemerkte ich jedoch einen alten Mann auf der anderen Seite des Ufers. Langes, salzweißes Haar hing an ihm herab. Tiefe Falten hatten sich in das von Wind und Sonne gegerbte Gesicht gegraben und ich musste an die Beschreibung denken, die man mir von Aktari, einem weisen, alten Schamanen, gegeben hatte. Ob er es wohl war?
Er war es und als er sich erhob und um den See herumging, kam damit die zweite Aufgabe auf mich - auf uns - zu.
Doch davon ein anderes Mal.
Vom Tod, vom Leben und dem ganzen Rest
Die Sonne stand schon fast am höchsten, die Mittagshitze zog ins Land, als ich mich auf den Weg zurück zu den Platz machte, wo ich meist um diese Zeit verweilte. Mal, um etwas Schlaf zu finden und die heißeste Zeit des Tages müde zu verdösen, mal um ein paar Früchte zu essen und über Vergangenes nachzudenken. So wie jetzt.
Die letzten Tage brachten manche Veränderung im Kleinen wie im Großen mit sich. So war ich bei der Öffnung des Tores in Dengra zugegen gewesen und hatte selber über das Rätsel nachgedacht und versucht, es für mich zu lösen, mich ansonsten aber im Hintergrund haltend. Ich war überrascht, als dann eine Lösung offenbart wurde, auf die ich nie gekommen wäre. Sie entsprach nicht meinem Weltbild und offenbarte, dass die Torwächter vermutlich das Weltbild des jeweiligen Landstriches besaßen, in dem das Tor stand. "Das Böse" war die Lösung.
Was ist das Böse, fragte ich mich danach. Nicht, dass mir dieser Begriff unbekannt wäre. Rasch ist man mit einem Urteil zur Hand und nennt etwas "böse", was einem nicht genehm ist. Aber gibt es das reine Böse überhaupt? Kann ein Mensch oder ein Tier einfach nur böse sein? Grundlos böse?
Ich denke, dass dem nicht so ist. Nehmen wir die Elemente - sie haben gute, aber auch scheinbar schlechte Seiten. Feuer wärmt uns in der Nacht, kann aber auch ein Zelt oder gar Lebewesen verbrennen. Wasser löscht unseren Durst, doch man kann auch darin ertrinken. Wind kühlt uns, doch ein Sandsturm kann ganze Stämme auslöschen. Erde nährt uns, doch ein Beben oder ein Felsrutsch kann tödlich sein.
Aber ist das nicht auch ein Ausdruck für den Lauf des Lebens? Man kommt zur Welt, doch irgendwann wird man sterben müssen. Alles ist endlich und es muss auf der Welt eben etwas geben, was dem Leben ein Ende setzt. Ist, wenn man länger darüber nachdenkt, nicht sogar ewiges Wachstum etwas, was vielleicht am Ende so etwas wie böse wäre? Kann und darf etwas ewig leben und wachsen? Würde damit diese Etwas nicht zuviel Macht und Kraft ansammeln? Ein Mensch, der ewig lernt? Ein Raubtier, was mit jedem Lebensjahr mehr Kraft sammelt? Ein Landstrich, der unendlich wuchert und alles überwächst?
Diese Gedanken ließen mich stärker erschauern als Gedanken über den Tod. Der Tod setzt all dem ein Ende und lässt Raum für Neues, was ebenso endlich ist und damit auch wieder Raum für etwas anderes Neues lässt. Das ist der Lauf der Lebens und das ist richtig so - so sehe ich das, aber ich weiß auch, dass es Menschen gibt, die in dem Tod etwas Schlechtes sehen, wird mit dem Tod doch ein geliebter Mensch genommen. Aber tut das der Tod wirklich?
Nein, denn die Ahnen sind mit uns. Doch obliegt es gerade den Schamanen, den Menschen, die jemanden verloren hatten, Trost zu bringen und ihnen davon zu erzählen, dass die Ahnen bei ihnen sind.
Ich hörte mich also etwas um, was andere zum Bösen sagen können. Ich sprach mit zwei Personen in der Kaiserstadt, aber da, so muss ich gestehen, war ich selber noch nicht ganz vorbereitet und wusste nicht wirklich, was ich alles fragen und sagen könnte. Unstetes Windkind, wie ich bin, war ich gleich abgereist, als mir dieser Gedanke kam, die Menschen dort zu befragen. Aber es war auch nicht umsonst. Ich hörte von Strafen für Diebe bei den Kaiserlichen, aber auch bei den Nordländern. Die Strafe der Nordländer klang für mich vernünftig und ich kam später zu dem Schluss, dass wohl jene Kulturen besonders hart und ungerecht strafen, die an das absolute Böse glauben und das wohl vermeindlich Gute verehren, was ihnen, wenn ich das richtig verstand, sogar Absolution für ihre Taten erteilt. Also vermute ich, dass ein Beschützer der Stadt, welche sie als glänzend bezeichnen, einen Dieb so sehr bestraft, dass dieser nicht mehr arbeiten kann und weiter rauben muss und danach lässt sich der Gardist diese harte Strafe vergeben. Oder?
Ich werde weiterhin nachfragen müssen.
Aber auch in meinem Volk scheint es unterschiedliche Auffassungen von Böse zu geben. So sprach ich mit Kadir und er erwähnte etwas, was er als "Chaos" bezeichnete. Auch mit ihm werde ich sicher noch weiter darüber reden, aber vor allem auch mit den anderen meines Volkes. Ein paar Meinungen kenne ich schon. Manche gehen mit meinen konform, andere in eine andere Richtung.
Interessant ist es allemal.
Kadir. Die Gespräch mit ihm genieße ich aktuell sehr. Ein Elementarist, der erst vor wenigen Tagen die Oase erreichte und den Pfad der Erde beschreitet, doch - und das ist das ungewöhnliche - eine gewisse Liebe zum Wind hegt, die dieser nicht erwidert, wie er es ausdrückte. Ich machte ihm Mut. Vielleicht wird er irgendwann tatsächlich mächtig genug sein, dass der Wind seine Liebe erwidert. Vielleicht will der Wind sogar, dass er nach ihm strebt, wie eine eigensinnige Verliebte.
Aber Kadir ist auch jemand, mit dem ich offenbar gut über meinen Weg reden kann. Bei anderen bin ich häufig unsicher. So hatte ich bei Armin anfangs die Befürchtung, er würde sich nun fürchten, nachdem er sah, was ich mit den Untoten in der Höhle tat und er daraufhin fragte, was ich mit deren Energie anstellen würde. Früher wäre es mir wohl selber eiskalt den Rücken hinuntergelaufen, wenn ich gewusst hätte, auf was Großmutter bisweilen zurückgriff, um einen schwerverwundeten Beschützer des Stammes zu heilen, so dass dieser wenig später schon wieder auf den Beinen stand, als wäre kaum was Schlimmes gewesen.
Mir kam sogar kurz der Gedanke, ob es möglich wäre, auch einen Menschen derartig die Energie zu rauben. Aber das wäre eine Handlung, die man als "schlecht", "böse" verurteilen kann. Faszinierend ist der Gedanken zwar auf einer Weise, doch mein Gewissen hält mich davon ab, den Gedanken weiter fortzuführen. Mir scheint, dass man auf dem Weg als Schamane einen bisweilen gefährlich schmalen Pfad zwischen Licht und Dunkelheit beschreitet.
Aber verfalle ich damit nicht auch in das Denkschema, welches dem der Kaiserlichen ähnelt? Und warum sollte Dunkelheit schlecht sein? Die Nacht ist dunkel und kalt, ja, aber deren Kühle ist notwendig, um der Erde und den Menschen Ruhe zu gönnen, ehe die Wärme und sogar Hitze des Tages wieder anbricht. Alles hat seinen Sinn und scheint notwendig für ein Gleichgewicht.
Gleichgewicht - das Stichwort, was mich daran erinnert, Jaafar nach dem Namen des Mannes in Grün zu fragen, den er offenbar kennt und der bei Dengra das Wort nutzte, als der Torwächter nach einem Kämpfer gegen das Böse verlangte. Mich dürstet es zu wissen, was er sich darunter vorstellt und was sich dieser Mann unter das "Böse" vorstellt.
Und neben all diesen Fragen ist da noch der Alltag in der Oase, wo ich mich mehr und mehr einlebe. Zu manchen habe ich sogar schon eine recht gute Verbindung, wie zum Beispiel Rya oder der erwähnte Armin. Letzterer ist ein ganz eigener Sonnenschein und tatsächlich hatte ich mich geirrt, was meine Befürchtung um seine mögliche Furcht angeht. Am Tag darauf lächelte er mich wieder an und mir scheint es, als ob ihm meine Meinung sehr wichtig wäre. Ich hoffe jedoch sehr, dass es nur daran liegt, dass ich eine Wanderin auf dem Pfad der Ahnen und Geister und nicht, weil ich eine Frau bin.
Zuletzt, ehe die Mittagshitze wieder abebbt, denke ich noch an die Pantherhaut, welche hier im Schatten liegt und von der ich das restliche Fleisch des Tieres bereits abgeschabt habe, damit sie nicht zu sehr stinkt oder sogar Fliegen anzieht. Mit dem Holz und den Häuten haben Arif und ich nun alles, was Aktari, jener weiser, alte Schamane, von uns verlangte. Was daraus nun werden soll, wissen allein er und die Ahnen, doch ich bin erleichtert, dass wir es geschafft hatten.
Ich muss gestehen, dass ich Angst hatte. Auch Angst vor dem Tod, wenngleich das einem angehenden Geisterbeschwörer wohl nicht zustehen sollte. Doch ein Puma ist kein Vergleich zu einer kleiner, harmlosen Hauskatze.
Zwei dieser Tiere fand ich auf meinen Wanderungen im Garten des Überflusses und dorthin begaben sich Arif und ich, als die Zeit gekommen war - es war Mitternacht, die dunkelste Stunde und noch dazu Neumond. Eine schicksalshafte Nacht also.
Im Garten des Überflusses fanden wir rasch das erste Tier. Ein flinkes Weibchen, welches von Arifs Schattengeist jedoch bald übermannt worden war und letztlich unter dessen Angriffen starb. Ich ging auf das tote Tier zu, erst noch unsicher, ob es vielleicht doch noch Leben zeigen und zuschlagen könnte, doch es war tot. Einzig ein letzter Rest Energie war noch erkennbar für die Sehenden.
So beeilte ich mich mit dem Häuten, was ich glücklicherweise oft genug bei meinem Vater gesehen und zeitweise auch von ihm gelernt hatte. Danach bedankte ich mich bei dem Geist des Tieres und entzog dem Leib den letzten Funken Energie, um diesen frei zu lassen, damit wir es am Ende nicht mit einem ruhelosen und rachsüchtigen Pumageist zu tun bekommen.
Bevor wir das zweite Tier angreifen konnten, schwankte jedoch Arif. Er war erschöpft, denn die Kontrolle des Schattengeistes fraß seine eigene Kraft rasch auf. Als er an den Stamm einer Palme zurücksank, näherte ich mich ihm, berührte ihn an seiner Stirn und spürte, wie förmlich der Wille, ihm zu helfen, seinen Geist zu klären und ihn zu stärken, damit er einen zweiten Geist rufen und kontrollieren konnte, wuchs. Ich sprach die alten Worte, die ich so von Großmutter einst gehört hatte (oder gerade in diesem Moment?) und offenbar trugen meine Bemühungen Früchte, so dass er etwas gestärkt einen Schattengeist rufen konnte. Diesen Geist nährte ich nun mit meinen Willen und der Energie anderer Geister, als der Puma ihn stark zusetzte und letztlich starb auch das zweite Tier, dass dann von Arif gehäutet wurde. Danach dankte auch er dem Geist dieses Tieres und entließ ihn in die Freiheit.
Dies war geschafft und auch wenn ich angespannt und unsicher war, war ich - waren wir - weiter vorangekommen. Ich harre nun gespannt aus bis zum nächsten Treffen mit Aktari und frage mich im Stillen, wozu wir das Holz und die Haut wohl brauchen werden. Aber mir liegen auch viele Fragen auf der Zunge, die ich dem alten Wanderer gerne stellen möchte.
Heimat, Glaube und Käfer
Kann es einen schöneren Ort in dieser Welt geben, als die Blume des Südens? Mehr und mehr fühle ich mich heimisch, auch wenn mich immer wieder mein Trieb zu reisen und mehr von der Welt zu sehen, hinaustreibt. Doch wenn ich dann wieder zurückkehre, ist es, als wenn ich in die Arme einer liebenden Mutter zurückkehre. Manchmal etwas beengend, doch im Grunde ein Gefühl von Wärme und Geborgenheit.
Diese Gedanken überkamen mich, als ich vom Kloster zurückgekehrt war. Schon auf der Brücke, als ich just das Kloster verließ, überkam mich ein innerlich wärmendes Gefühl in dieser kalten Umgebung. Es ging heim und ich freute mich darauf, doch es war auch wie ein Ruf, als wenn mir die Oase und sein ganz eigener Geist zurufen würden, dass ich hierher gehöre und nicht ins Reich der Kaiserlichen.
Welch absurder Gedanke das auch wäre.
Der Besuch im Kloster war ... es ist noch immer schwer in Worte zu fassen, muss ich gestehen, doch zeitweise hatte ich das Gefühl, auf Treibsand zu wandeln. Drei Personen, die die Zeit hatten, mit mir zu reden, traf ich nun an. Eine von ihnen, eine ältere Frau, war offenbar eine Art Mentor und eine hohe Priesterin. Die anderen beiden lernten offenbar noch. Eine von ihnen, Ajax Calent, zeigte sich in ihrem Auftreten und mit ihren Worten offen, der andere wiederum, Arwan aus dem Hause al'Asta, schien eher abweisend. Aber soll ich ihm das zum Vorwurf machen? Ich habe auch meine Meinung zu den Kaiserlichen, wobei sie noch verhältnismäßig freundlich ist im Gegensatz zu der Meinung anderer in der Oase. Wir sind eben verschiedene Völker und ich könnte nie ihr Leben leben.
Einen weiteren, kleinen Einblick in ihr Leben hatte ich nun im Kloster erhalten. Da ich früher, als ich noch in meinem Stamm lebte, die Wüste nie verlassen und auch sonst keinen Kontakt zu den Kaiserlichen gepflegt hatte, war mir bis vor kurzem nur wenig über dieses Reich und nichts über ihren Glauben bekannt. Nun kenne ich zumindest wohl schon die Grundzüge ihres Glaubens.
Einfach war das Gespräch bisweilen nicht, führte es doch vor allem Arwan aus dem Hause al'Asta, der sich wiederum schon mal herablassend zeigte. Doch ich denke, bis auf einen kleinen Fast-Fehltritt, habe ich mich gemäß dem Gebot meines Volkes - nämlich die Gastfreundschaft nie mit Füßen zu treten - gut verhalten. So etwas verhindert allerdings auch die Möglichkeit, provokantere Fragen zu stellen. Andererseits wurde ich auch schon gewarnt. Solche Fragen könnten auch Probleme provozieren und wer weiß, zu was ein Mann wie er vielleicht am Ende fähig wäre?
Mit Ajax Calent verblieb ich so, dass wir auf jeden Fall wieder miteinander sprechen werden, wenn die Zeit dafür gekommen ist. Da auch Kadir schon mit ihr sprach und sie sich seiner erinnerte, werde ich ihn dazu mitnehmen. Vielleicht wäre es ja sogar möglich, einen neutralen Ort zu finden, wo es möglich ist, auch durchaus deutlichere Worte zu sprechen und sich nicht nur in bescheidener Höflichkeit zu üben.
Wo ich an Kadir denke, so fällt mir ein, dass ich ihn fragen werde, ob er bereit wäre, mir das Schreiben und Lesen beizubringen. Bisher ist es mir nur möglich, mit einfachen Lettern meinen Namen zu schreiben, doch mehr lernte ich nie. Im Stamm der Windkinder war dies auch nie nötig, denn Großmutter und meine Schwester als ihre Nachfolgerin konnten lesen und schreiben - das reichte und da ich nie als Schamanin vorgesehen war, erlernte ich es nicht.
Doch nun merke ich, wie nötig ich das hätte. Im Kloster bot man mir an, in ihren Büchern zu lesen und sie hatten dort etliche gefüllte Regale. Auch hier in der Oase sind viele in der Lage zu lesen und zu schreiben und kommunizieren auf diese Weise. Ich bin daher froh, dass mir Musad in der Hinsicht hilft, doch fraglich, ob das einer angehenden Geisterbeschwörerin würdig ist.
Mit Kadir al Scharaf und Tamir aus dem Geschlecht der Masaad sprach ich auch noch über meinen Besuch im Kloster und es entwickelte sich eine interessante und fruchtbare Diskussion über das Thema, welchem ich nachzuforschen versuche - das Böse, woraus es entstehen möge, ob es das gibt oder nicht und warum manche an so etwas glauben, andere nicht und wozu man einen Glauben an das Böse eigentlich benötigt. Ich freue mich schon darauf, mit den beiden auch weiterhin über solche Themen sprechen zu können. Sie sind beide in der Lage, respektvoll mit ihrem Diskussionspartner umzugehen und sorgen für neue Gedanken, Ideen und Überlegungen.
Aber das war nicht das Einzige, was mich an diesem Tag beflügelte. Oft wandere ich umher, gerade durch die Wüste, denn das ist meine alte Heimat, die mich immer wieder lockt, so gefährlich sie doch ist. Manches Mal hatte mich schon irgendein obskures Wesen verfolgt. Sei es eine gewaltige Riesenspinne, ein Skorpion oder irgendwas, was längst nicht mehr lebt und sein einstiges Leben wohl im heißen Wüstensand ausgehaucht hatte.
Ich fragte mich, ob es möglich wäre, mit der Hilfe der Geister eine Möglichkeit des Reisens zu finden, wobei ich aber weiterhin in der Wüste selbst bleibe und meine Umgebung erkennen kann. Eine Art Reitwesen eben. Ich spinnte vor mich her in einer ruhigen Abendstunde am oberen See, als ich mal wieder den Nachthimmel mit seinen schimmernden Sternen betrachtete - ein Reittier, was mit dem Boden der Wüste, also dem Sand zurecht kommen kann. Ein Wesen, was genügsam wäre, was aber auch im Notfall einen Angriff eines Skorpions überstehen würde, also ein Wesen, dessen Haut sehr hart wäre. Wie bei einem Käfer vielleicht. Ich dachte an einen besonderen Käfer, der hier im Reich der Mittagssonne eine besondere Bedeutung bei vielen Wüstenstämmen hat - der Skarabäus. Man sagt ihm nach, dass es weder Männchen noch Weibchen gäbe bei dieser Käferart und er seine Jungen aus einem Erdklumpen, den er rollt, formt und zur Welt bringt. Viele verehren ihn als Zeichen der Schöpfung, der Schaffenskraft, des Fleißes, aber auch als ein Wesen, welches praktisch einzigartig ist aufgrund seiner Geschlechtslosigkeit. Einige tragen sogar Skarabäen aus Halbedelsteinen geschliffen als Glücksbringer an Ketten oder in ihren Taschen mit sich.
Auch erinnerte ich mich an den Erzählungen von Großmutter, dass es Tiergeister gab, die gewaltig werden konnten, wenn sie sich tatsächlich manifestieren sollten. So hatte sie auch eine Geschichte von einer Oase erzählt, in der ein Wolfsrudel gelebt hatte und eine Wölfin - groß wie ein Kamel, wenn sie fürs menschliche Auge sichtbar wurde - hatte das Rudel und damit auch die Oase geführt und geschützt.
Ob es auch möglich war, im Wüstensand einen Skarabäus zu finden, der groß genug wäre, um auf ihm reiten zu können?
Dass es nicht so einfach werden würde, das konnte ich mir natürlich von selber ausrechnen. Es würde wohl nicht reichen, sich einfacher, schwacher Energien zu bemächtigen und damit den Skarabäus zu rufen. Es musste "mehr" sein und mir kam eine Idee, bei der es sicher das Beste war, im Vorfeld niemandem etwas davon zu erzählen und es möglichst etwas außerhalb in der Oase durchzuführen.
Von Milou holte ich mir ein paar Flaschen und begann dann an der oberen Quelle eine Mischung aus verschiedenen Energien anzufertigen, wobei ich auch meinen Willen sprechen ließ, um sie zu verbinden. Schon bald befand sich etwas in der Flasche, was nicht mehr dem fließendem Nebel in den anderen Phiolen glich, sondern mehr wie ein chaotischer Wirbelsturm. Ein Mischmasch, mit dem man unzweifelhaft vorsichtig umgehen musste.
Damit, wenn auch schon etwas müde von der Arbeit an dieser neuen Essenz, ging ich hinaus in die Wüste. Sollte etwas schiefgehen und ein wildgewordener Riesenkäfer würde aggressiv auf alles losgehen, was sich auf zwei Beinen aufrechtgehend fortbewegte, war wenigstens die Blume des Südens sicher.
In der Wüste suchte ich die Spur eines Skarabäus und fand sie schon bald. Sogleich ging ich auf die Knie hinab, atmete tief und ruhiger werdend durch, sammelte mich innerlich, ehe ich meine Hände senkte und in dem Wüstensand vergrub. Konzentriert starrte ich auf die Spur des Käfers und raunte alte Wort auf rituelle Art und Weise, dabei ständig wiederholend, mich reinsteigernd und mich damit innerlich ein wenig in Richtung Ekstase treibend. Lockend waren die Worte, die ich sprach, zwischendurch die Flasche mit der chaotischen Essenz öffnend und sie als Lockmittel entlassend und dann fühlte ich etwas - eine Präsenz, die sich auf einer anderen Ebene mir näherte, mich beobachtete, ehe ich ein leichtes Erbeben fühlte, wobei ich kaum sagen konnte, ob es der Boden war oder 'irgendwas' anderes. Kurzzeitig kam das Gefühl auf, ich wäre eine Spinne, die auf ihrem Netz hockt und fühlt, wie etwas einen der Fäden berührt hätte.
Doch dann war es auch der Sand, der leicht vibrierte, sich teilte und aus diesem hervor erhob er sich - ein Skarabäus! Nicht so hoch wie ein Kamel oder Pferd, aber groß und stark genug, um einen ausgewachsenen Menschen tragen zu können. Pechschwarz und glänzend sein Panzer, der stark genug aussah, um auch dem Stich eines Skorpions widerstehen zu können. Lange, starke Beine, welche rasch einen Verfolger abschütteln können trugen seinen Leib und ich spürte, wie das Tier mich ansah, als ich mich aus dem Sand geschwächt erhob. Jetzt nur keine Schwäche zeigen, dachte ich mir im Stillen, sammelte mich, ging auf den gewaltigen Tiergeist zu und vorsichtig legte ich meine Hand an die Stelle seines Hauptes, die man wohl als Stirn bezeichnen könnte. Leise Worte sprach zu ihm und bat ihn, mich zu tragen. Dann neigte er sich etwas hinab und sogleich rutschte ich auf seinen Rücken, um den wohl ungewöhnlichsten Ritt durch die Edelsteinwüste zu wagen.
Zurück in der Oase war ich müde und doch euphorisch. Wieder hatte ich einen Schritt getan, der mich vorangebracht hatte. Im Stillen dachte ich an Großmutter, als ich meinen Ruheplatz aufsuchte, die Augen schloß, um mich in die Vergangenheit zu träumen.
Vom Kopfschmerz zur Freundschaft
Als ich an diesem Morgen früh erwachte, spürte ich, dass mein Kopf nicht mehr schmerzte und sich wieder angenehm klar anfühlte. Auch die Verletzung war abgeklungen und so erhob ich mich erholt und rollte die dünne Matratze samt Decke und kleinem Kissen zusammen, um alles zusammen unter der Palme am oberen See abzulegen, der Platz eben, wo ich häufig schlafe oder einfach nur etwas ruhe, wenn sich die Hitze des Tages über das Land senkt.
Während ich mit einer Schüssel etwas Wasser schöpfte und mich wusch, dabei bedacht, nicht allzu viel vom kostbaren Nass zu verschwenden, aber auch nicht zu wenig zu nutzen, damit ich sauber werden konnte, dachte ich an die Gespräche mit Armin zurück. Es war angenehm, sich mit ihm zu unterhalten und ihn etwas kennenzulernen. Nun ja, noch weiß ich nicht allzu viel von ihm. Meist schaffte er es irgendwie, dass ich mehr über mich erzählte. Nachdem er mich verletzt in die Oase zurückgebracht und versorgt hatte, bot ich ihm daher auch das "Du" an. Es ehrte mich zwar, dass er mich aus Gründen des Respekts mit "Ihr" ansprach, doch ich bezweifle, dass ich an Respekt verlieren würde, wenn wir uns duzen. Davon ab hängt Respekt nicht von einem kleinen Wort ab und letztendlich stehe ich eh noch so weit am Anfang, dass ich das mit dem Respekt eher zwiespältig sehe.
Ich schätze Armin mehr und mehr, genauso wie Kadir, den ich ebenso schon duze. Wo Kadir mich jedoch gerne etwas aufzieht und mit mir scherzt, da ist es vor allem Armins Art, die ich mag. Die meiste Zeit sehe ich ihn lächeln und auch weiterhin kommt er mir wie der Sonnenschein der Oase vor. Man hat das Gefühl, gleich was kommt - man wird am Ende auch weiterhin lächeln können, weil es immer etwas Schönes im Leben geben kann. So etwas sollte ich nie vergessen.
Wo Kadir mir nun wie ein großer Bruder vorkommt, erscheint mir Armin wie der kleine Bruder, wobei ich mir da nicht so ganz sicher bin. Armin ist jünger als ich, ja, aber andererseits macht er auch einen durchaus vernünftigen Eindruck und als ich ihn kämpfen sah, kam er mir weniger wie das kleine Brüderchen vor, welches man beschützen muss. Gut, ich versuchte es mit meinem Willen und der Hilfe der Geister, doch er war schnell wie der Wind und wusste seinen Säbel effektiv zu gebrauchen und am Ende war er es, der mich verletzt durch die Wüste geschleppt hatte. Ich wünsche ihm, dass Jaafar bereit ist, ihn zu lehren, so dass Armin tatsächlich zu einem respektablen Beschützer der Oase heranreift.
Doch habe ich, was seinen Weg angeht, auch nicht unbedingt Zweifel. Er kommt ebenso aus einem Stamm der Wüste und ich denke, das merkt man ihm auch an. In der Wüste, wo so viele Gefahren lauern, scheint man früher erwachsen werden zu müssen, als in der sesshaften Sicherheit einer friedlichen Oase, wie der Blume des Südens, wo man bisweilen das Gefühl hat, hier gäbe es fast alles im Überfluss.
Nun soll ich ihn im Hinblick auf die Geister und Ahnen lehren, doch stehe ich selber noch weit am Anfang. Ich hoffe aber dennoch, dass ich es vermag, auf dass er seinen Weg weiter gehen kann.
Und abseits davon mag ich das angenehme Gefühl, Freunde gefunden zu haben. Armin sprach davon, dass es später sicher sehr wichtig sein kann, Freunde zu haben, wenn man Pfade beschreitet, die einen bisweilen vom übrigen Volk etwas abzugrenzen drohen. Manchmal macht mir dieser Gedanke etwas Angst, manchmal aber regt er auch meine Neugierde und Faszination an.
Wie auch immer. Ich denke manchmal zu oft an die Zukunft, doch sollte ich meine Gedanken wohl besser auf die Gegenwart lenken, die Vergangenheit nicht aus den Augen lassend.
Ich kippte das Wasser der Schüssel an den Stamm der Palme und machte mich dann auf den Weg, um zum Zentrum der Oase zu schlendern.
Ein Traum vom Weltenwanderer
Ein in der Abendsonne glitzernder Fluss, der träge dahinzieht. Auf ihm sehe ich verschiedene Boote, welche nur in eine Richtung reisen - auf die untergehende Sonne zu. Auf jedem Boot sehe ich einen Menschen und ein Tier.
Was sind wir, höre ich Aktari wieder fragen.
Irgendwo in der Ferne, kaum noch wahrnehmbar, glaube ich meine Stimme zu hören, wie ich wieder eine viel zu lange Antwort gebe, die doch letztlich nicht das trifft, was er mir sagen wird.
Mein Blick schweift zu einem Vogel, welcher auf langen Beinen durch das seichte Wasser am Ufer stakst, nach Fischen wohl sucht, dann den Kopf hebt und zu mir blickt.
Wir sind Wanderer zwischen den Welten.
Unter diesen Worten spreizt der Vogel seine Flügel und erhebt sich nach kurzem Anlauf in die Luft, überfliegt den Fluss, gegen die Richtung der Boote, dann dreht er und bewegt sich mit ihnen zur untergehenden Sonne - vollkommen frei und bewusst darüber, dass er jederzeit die Richtung drehen könnte, gleich ob in der Luft oder auf der Erde.
Nur schwer fand ich wieder zurück und rieb mir müde meine Augen, während die Räucherung langsam nachließ. Allein ihre Wirkung blieb noch haften und machte es mir schwer, in einen bewussteren Zustand für die Realität zu finden. Schwer fühlte sich mein ganzer Körper an und ich hatte das Bedürfnis weiter zu träumen. Aber es war genug. Ich glaubte eh eine Antwort auf eine Frage gefunden zu haben, die ich mir heute Morgen noch gestellt hatte. Ich hatte nach einem Wanderer zwischen den Welten gesucht, aber nicht nach einem Menschen. Scheinbar hatte ich ihn gefunden, wenn ich es richtig interpretiert habe. Dabei gibt es traditionell viele. Ein Vogel kann es sein, denn er überwindet die Schranken des Irdischen, aber auch ein Insekt mit Flügel, da es für diese Tiere genauso gilt. Über die Fliegen sagt man sogar, sie würden die Seelen der frisch Verstorbenen in die Totenwelt geleiten, damit sich diese nicht verirren und rastlos in der Welt der Lebenden bleiben.
Ich schaffte es immerhin mich gerade aufzusetzen und trank durstig einige Schluck Wasser aus einem Krug. Der Nachmittag war so gut wie vorüber, was hieß, dass ich verhältnismäßig lange geträumt hatte. So war mir nun auch klar, dass ich die Menge gewisser Ingredienzen meiner Räuchermischung etwas mildern sollte, würde ich diese beim nächsten Mal anwenden. Das nächste Mal stand schon fest, doch dann würde ich es nicht sein, die träumen würde.
Kürzlich traf ich am oberen See Aktari. Ein Treffen, was mir viele Antworten gab. Sowohl auf die Fragen, die mir bisher auf meinem Herzen gelegen hatten, aber auch Antworten was meinen Weg angeht. Faszinierend war es, was er mir über die unterschiedlichen Welten erzählt hatte und was das für Menschen wie mich bedeutete. Damit hatte ich auch eine weitere Antwort darauf gefunden, was ich Armin in Kürze lehren würde und nun, mit meinem Traum, fand ich eine weitere, vermutlich die erste Lektion für ihn. Im Sand hatte ich sogar eine kleine Zeichnung gemalt - eine Idee, wie ich ihm auf seinen Pfad zum Säbeltanzer helfen könnte. Ich bedauerte es wieder, nicht schreiben zu können, aber das würde sich hoffentlich bald ändern und ich würde so etwas auf Papier verewigen können.
Wachstum
Vor mir lag wieder der Papierbogen, den mir Kadir gegeben und auf den ich die ersten Buchstaben sowie meinen Namen geschrieben hatte. Sorgfältig schrieb ich, nein, zeichnete sogar die Buchstaben, die er mich gelehrt hatte und versuchte sie hier und da etwas zu verzieren. Ich stellte mir schon vor, wie mein erstes Buch später aussehen würde - eine schöne, verzierte Schrift, umrahmt von Schmuckbalken, die ich ebenso zeichnen wollte. Vielleicht sollte ich bald das Zeichnen wieder üben.
Einst, als ich unsicher war, was aus mir nun werden sollte, war es der Luftelementarist unseres Stammes, welcher für die Male auf unserer Haut zuständig war, der mir das Zeichnen beigebracht hatte. Nicht besonders meisterlich waren meine Zeichnungen und die Möglichkeiten, auf etwas zu zeichnen, waren eher rar. Doch ich erinnere mich noch gut daran, wie ich ständig Früchte und Blätter üben musste. Machten wir Halt an einer Oase, suchte er eine Frucht in dieser, gab sie mir und damit die Aufgabe, diese Frucht so lange in verschiedenen Positionen und damit mit verschiedenen Schattierungen zu zeichnen, bis wir wieder weiterreisen würden. Manches Mal hatte ich diese Aufgabe wirklich nicht gemocht, ja, sogar gehasst. Aber immerhin kann ich nun von mir behaupten, dass ich wirklich sehr gut Datteln und Bananen zeichnen kann.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass der Rand des Bogens, wo noch etwas Platz ist, schon mit den ersten Zeichnungen verziert ist. Nicht von Früchten, aber von stilisierten Luftwirbeln, Flammen, Blätterranken und Wasserwellen.
Kadir ist allerdings auch ein guter und geduldiger Lehrer, der einen aufzumuntern weiß, so dass man nur allzu gerne übt. Nur seine Scherze sind etwas, was mir langsam schon etwas Sorge bereitet, auch wenn ich mich andererseits frage, ob die Sorge berechtigt ist. Sein derber Scherz bezüglich Windgeister, welche vom Körper geschickt werden, trieb mir tatsächlich die Röte ins Gesicht - vor allem aber, als Armin auftauchte und diesen vermutlich vernahm. Gerade Armin, welcher mich und Kadir vor kurzem noch als ernsthafte Personen bezeichnet hatte!
Ich denke, ich werde mit Kadir einmal unter vier Augen darüber sprechen müssen. Er wird sicher auch ein Interesse daran haben, in der Oase ernst genommen zu werden. Unter uns mögen wir weiterhin scherzen, aber im Beisammensein mit anderen wäre mir ein anderes Auftreten doch lieber.
Ob es aber richtig ist? Ich schwanke auch teils etwas. Ich genieße es einerseits hier in der Oase schon allmählich dazu zu gehören. Aber andererseits würde ich später eine andere Rolle einnehmen und da wären solche Scherze in der Öffentlichkeit - wenn nicht sowieso schon viel zu derbe - unpassend. Ich denke, mein "Problem" ist, dass ich endlich die Möglichkeit habe, nicht einfach nur als eine flatterhafte Person zu gelten. In meinem Stamm gab es doch die ein oder anderen Personen, die deswegen auf mich herab geblickt hatten und ich konnte sie nicht mal dafür hassen, denn etwas in mir hatte ihnen ja auch Recht gegeben. Aber hier gelte ich nicht als unstete Person, welche keinen Platz im Leben fand. Hier könnte ich vielleicht etwas Respekt erlangen.
Vielleicht ... denn da gibt es noch einen Punkt, der mich ärgerte, der mir aber auch Sorgen bereitete.
Es wird langsam Zeit, dass ich mit Armin in die Wüste gehe, um ihn zu lehren und um selber einen klaren Kopf in der Ödnis zu bekommen.
Wüstenpfad I
Ich war früh wach. Die Sonne war noch nicht wirklich zu sehen, dafür aber wurde es im Osten langsam heller. Das Feuer war schon längst hinunter gebrannt und einzig die Decke, die ich um mich geschlungen hatte, wärmte mich noch. Mein Blick ging hinüber zu Armin, der nicht weit entfernt von mir lag und schlummerte. Sogleich huschte aber auch mein Blick in die Umgebung, auf der Suche nach etwas.
Der gestrige Tag führte mir vor Augen, wie weit am Anfang ich noch in vielerlei Hinsicht stehe. Es ist eine Sache, mit den Geistern umzugehen, eine andere aber mit den Lebenden. Ich sprach mit Kadir über seine Scherze und trat offenbar gezielt ins Fettnäpfchen. Er verhielt sich distanzierter und verabschiedete sich recht bald von mir. Offenbar hatte es ihn tief getroffen, aber er machte mir auch klar, wie unwichtig ich an sich bin. Ich erkannte durchaus, dass ich falsch lag. So, wie er sich verhielt, hatte ich das Gefühl, einen Freund und Bruder verloren zu haben, was mich in dem Moment sehr schmerzte. Ich verließ nur wenig später die Oase, um zu reisen und einen klaren Kopf zu bekommen. Nach einigen Stunden kehrte ich zurück zur Oase, wollte mir etwas zu Essen besorgen und Kleidung einpacken, um vielleicht für ein paar Tage in der Wüste zu bleiben, doch Armin sprach mich an, der wohl gespürt hatte, dass etwas nicht in Ordnung war. Ich ging mit ihm aus der Oase raus, denn ich wollte mit ihm in Ruhe reden können.
In dem Zelt, welches am Höhleneingang zur Wüste steht, ließen wir uns auf seinen Umhang nieder und ich sprach über alles. Aber auch über andere Gefühle, die nicht Kadir und meine Freundschaft zu ihm betrafen, sondern vielmehr, was meinen Weg anging und was mir scheinbar im Weg stand. Dabei kam heraus, dass es ihm nicht sehr viel anders erging. In gewisser Weise ähnelten wir uns sehr und unzweifelhaft tut es gut, zu wissen, dass noch jemand ähnlich fühlt wie ich.
Vielleicht schaffen wir es ja beide, unsere Ziele zu erreichen, wenn wir zusammenhalten?
Hier im Zelt kamen wir auch auf das zu sprechen, was ich mit ihm vorhatte und was seinen Weg als Säbeltänzer betraf. Da ich Decken, genügend Wasser und Proviant, aber auch die beiden Tücher von Rya dabei hatte, war ich an sich bereit, mit ihm die erste Lektion zu beginnen.
Ich reichte ihm eines der Hüfttücher und sagte ihm, dass er seine Kleidung, Rüstung, seinen Schild und seine Waffen hier zurücklassen sollte. Einzig seinen Proviant und Wasser sollte er mitnehmen. Offenbar machte es ihn verlegen, doch ich verließ das Zelt und kleidete mich ebenso um.
Wenig später standen wir außerhalb der Höhle im Licht der Sonne, spürten beide, barfüßig wie wir waren, den Sand unter unseren Füßen und den Wind auf unserer Haut, wobei ich es mir erlaubte noch ein Oberteil zu tragen. Ich muss auch zugeben, dass der Anblick seines freien Oberkörpers mir in gewisser Weise gefiel. Er hat Muskeln, doch er sieht weitaus weniger verbraucht und "hart" aus wie ältere Kämpfer. Man hat das Gefühl, dass da jemand vor einem steht, der auf seine Weise formbar ist, doch man spürt auch, dass man das behutsam tun und ihn niemals verbiegen sollte.
Die erste Lektion begann mit einer Wanderung durch die Wüste Richtung Süden in die Region, die wir das Flammende Licht nennen, treffen doch hier die ersten Sonnenstrahlen des Tages auf die Gebirgszüge und das Land. Ich wies ihn an, aufzupassen, denn barfüßig waren kleine Skorpione und Schlangen tatsächlich gefährlich, aber auch die kleineren Kakteen konnten sehr schmerzhafte Erfahrungen bereit halten. Er spürte unzweifelhaft die Unsicherheit, die man fühlt, wenn man so ganz ohne Rüstung, Waffe und schützende Kleidung in die Wüste geht. Auch die Angst vor Räubern und irgendwelchen monströsen Wesen war vorhanden, aber ich hatte ihm versprochen, dass ich aufpassen werde. Ich hoffte nur im Stillen, dass ich das auch schaffen würde und war deswegen etwas angespannt, während wir unseren Weg weiter fortsetzten.
Doch da war auch das Gefühl des Windes auf der Haut, den wir genossen und irgendwo ist es doch befreiend, wenn man mal einen Teil seiner Last ablegen kann.
Wir erreichten nach einer Weile das Meer und tauchten unsere Füße in das Wasser, genossen die kühlere, feuchte Luft an dieser Stelle und das weiche Gras, auf dem wir saßen und sprachen hier nun weiter über verschiedene Dinge. Angst war dabei ein Thema, das mir wichtig war. Ich sprach mit ihm darüber, dass Angst uns vor gefährlichen Situationen warnt, doch dass man sich auch niemals davon übermannen lassen sollte, so dass man nichts mehr wagt. Angst kann hilfreich sein, wenn man mit ihr umzugehen weiß und Angst hatte er auch durchaus bei unserer Wanderung gespürt. Eine Erfahrung, die er in Rüstung und mit seiner Waffe wohl nicht unbedingt gemacht hätte.
Über das Sammeln von Wissen sprachen wir ebenso. Er sollte lernen, wie man auch ohne Waffen kämpfen könnte und wie man sich ohne Rüstung schützt bzw. Angriffe abwehrt, denn es mag sein, dass er irgendwann in eine Situation gerät, wo man ihm all das genommen hat oder er nicht ausreichend ausgerüstet ist. Aber auch das Sammeln von Wissen über die Umgebung, so riet ich ihm, wäre wichtig. Über das Leben in der Wüste Wissen zu sammeln wäre eine Sache, aber wie man in den Ländern der Kaiserlichen oder sogar Nordländern überlebt, kann ebenso hilfreich sein. Ein Säbeltänzer, so sagte ich ihm, wäre mehr als nur jemand, der über körperliche Stärke verfügt, denn auch auf den Kopf kommt es an.
Der Tod war ebenso eines der Themen, über die wir redeten. Dieses Mal stellte mir auch Fragen und wir erfuhren einander einiges über den anderen. So klärte sich sogar das auf, was ich vor kurzem in der Wüste in seiner Nähe wahrgenommen hatte. Jedoch nahm er mir das Versprechen ab, dass ich darüber mit niemandem reden solle. Ich werde mich daran auf jeden Fall halten und von meinem Weg nicht abweichen, so dass ich ihm irgendwann bei dieser Sache helfen kann.
So waren die Stunden wie Sand in der Sanduhr verronnen und als es dunkler wurde, entfachte ich ein Lagerfeuer und wir bereiteten unser Nachtlager vor, um schon bald einzuschlafen. Ich bin nun gespannt, was dieser Tag, der nun anbricht, mit sich bringt und ob ich bei ihm alles richtig mache. Wichtig scheint mir auch, dass ich ihm den Glauben an die Ahnen und den Umgang mit ihnen und das Ehren näher bringe, denn ich merke, dass er da noch etwas Hilfe braucht.
Aber alles zu seiner Zeit - etwas, was Armin und ich gleichermaßen nie vergessen sollten.
Wüstenpfad II und auf diesem zurück in die Oase
Unzweifelhaft ist es eine angenehme Erinnerung - mit Armin in der Wüste zu verweilen, ihm auf seinem Weg zum Säbeltänzer zu helfen, auf dass er die Ahnen zu ehren weiß und ihm auch weitere Hilfe zu geben, wenn er sie benötigt. Nach der Nacht war am nächsten Tag die Suche nach einem besonderen Lehrer geplant. Ein Tier, welches mit seinen Eigenschaften ihm ein Vorbild werden könnte und was er sich in Erinnerung rufen kann, um so in die Richtung zu gelangen, wo er hin möchte. Ich versetzte ihn in einen Schlaf, brachte ihn mit einer Räuchermischung zum Träumen und schaffte es sogar selber, eine Verbindung zu ihm herzustellen.
Willkommen hatte ich mich bei ihm gefühlt und zusammen waren wir durch die Luft gereist, ehe wir die Oase in seinem Traum erreicht hatten. Eine kleine Weile hatte es gedauert, dann aber zeigte sich jenes Tier, welches ihm künftig auf seinem Pfad helfen soll - ein Erdmännchen. Ich hatte wahrlich mit allem gerechnet - mit einem Falken oder Adler, vielleicht auch ein Wolf oder sogar ein Löwe - aber es war ein kleines, scheinbar unauffälliges Tier, welches weder für seine Kraft, noch für seinen Mut berühmt ist, dafür aber einen ausgeprägten Rudelsinn zu haben scheint und noch dazu dem Element Erde zugeordnet wird und damit dem Element, was Armins Wesen so gar nicht entspricht. Im nachhinein betrachtet macht diese Wahl tatsächlich mehr Sinn als ein Falke oder Adler.
In der Wüste konnten wir uns näher kennenlernen und mehr denn je halte ich große Stücke auf Armin. Auch wenn viele in ihm scheinbar nur einen Knaben oder ein halbes Kind sehen, so kann ich mit Recht behaupten, dass in ihm schon jetzt sehr viel mehr steckt. Meist zeigt er sich vernünftig, weniger zornig und geht zudem offen auf Neues zu. Ich hoffe, er kann sich diese Eigenschaften bewahren.
Dies erkannte ich jedenfalls, als ich kürzlich in der Kaiserstadt weilte und dort mit ein paar Personen sprach, welche dem Archäologischen Institut Dengra angehören. Armin, der gerade ebenso in der Stadt unterwegs war, gesellte sich zu uns. Offen verhielt er sich gegenüber den Kaiserlichen und weniger vom Misstrauen geprägt. Doch zeigte sich auch hier, dass man in ihm meist nur einen Jungen zu sehen scheint. Auf meinen Einwand hin, er könnte bereits eine Frau und sogar schon ein Kind haben, erntete ich eher Unglauben. Meine Theorie ist daher, dass je sicherer ein Stamm, eine Kultur lebt, desto länger dürfen ihre Nachfahren Kind bleiben. In Sicherheit, mit genügend Nahrung und in einer festen Unterkunft lebend, ist es wohl nicht dringend notwendig, schon früh das Kindsein ablegen zu müssen, um für das Wohl des eigenen Stammes zu sorgen. Vermutlich würde auch manch einer in der Oase etwas ungläubig reagieren und es für unmöglich halten, dass er schon eine Familie gründen könnte.
Andererseits besteht natürlich schon ein deutlicher Unterschied zu einem älteren Mann. Armin fehlt noch die Erfahrung, vielleicht bisweilen die Ruhe, doch dass weiß er meiner Meinung nach mit seinem Willen und seiner Energie wieder auszugleichen.
Noch etwas anderes wurde mir bei dem Besuch in der Kaiserstadt gewahr - ich selber sollte auf mich und mein Gebaren gut achtgeben. Allzu oft hatte ich zu Armin getuschelt. Die zurechtweisenden Worte Isurns trafen ins Schwarze und ich musste ihm recht geben. Ich benahm mich falsch und entschuldigte mich dafür. Auch Misstrauen keimt ab und an in mir noch auf. Nun, der Krieg, all die Unterschiede zwischen unserer und der kaiserlichen Kultur und ihr Misstrauen gegenüber Magie machen es einen auch nicht unbedingt einfach, sich ihnen gegenüber vollkommen unbefangen zu verhalten. Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich doch recht arrogante Ansichten über die Kaiserlichen hege. Was das Misstrauen nun anbelangt, so keimte dieses auf, als diese Gruppe explizit Jaafar als Führer durch unser Reich wünschte. Für einen Moment lang fragte ich mich, ob das nicht auch eine Falle sein könnte. Ein Besuch beim Leiter des Instituts ein paar Tage später ließ mich jedoch Vertrauen fassen. Dazu später aber mehr.
Misstrauen, falsches Gebaren, Unverständnis einer fremden Kultur gegenüber - ich bin nicht die Einzige meines Volkes, die da so ihre Schwierigkeiten zu haben scheint. Vielleicht bin ich noch halbwegs pflegeleicht im Vergleich zu anderen, wenn ich so über einige Geschehnisse und verlorene Worte der letzten Tage nachdenke. Da es offenbar ein allgemeines Problem zu sein scheint, obliegt es nun sogar dem weisen Aktari manchen von uns die Regeln des Anstandes näher zu bringen - vor allem auch die Verhaltensweisen der alten Ahnen zu lehren. Einen Teil davon versuchte er mir und Armin zu vermitteln, als er sich an einem Abend zu uns gesellte und einen Tee kochte. Bedenkt man seine asketische Lebensweise, war es schon etwas Besonderes, mit ihm Tee zu trinken. Aber wir sprachen noch über so vieles mehr. Manches durfte Armin sicher verwirrt, vielleicht auch etwas geängstigt haben, während bei mir die Bewunderung für Aktaris Wissen überwiegt. Manchmal fühle ich mich bei ihm wie ein Stück trockenes Land, das gierig all sein Wissen wie Regen aufsaugt - und irgendwann, so weiß man, blüht sogar ein wüstes Stück Land auf.
Bei einem Besuch bei Krius von Dengra kürzlich bemühte ich mich nun, mich gut zu benehmen. Sowieso war ich bloß Armins Begleitung und hielt mich daher meist im Hintergrund und stellte ab und an ein paar Fragen, die Esseri von Dengra weit ausholend und bisweilen kaum zum Punkt kommend (offenbar scheint das ein Charakterzug von ihm zu sein - aber macht das nicht auch einen guten Erzähler aus?) beantwortete. Zugegeben machte mich das Institut schon neugierig. Was mich aber nun Vertrauen fassen ließ, war die Art und Weise, wie sich Krius von Dengra mir gegenüber verhielt. Ich unterließ es anfangs, ihm zu sagen, dass ich dem Pfad der Ahnen folge und stellte mich lediglich als Armins Beraterin und Mentorin in geistlichen Belangen vor. Wenn man es wörtlich nahm, passte es in doppelter Hinsicht sogar. Daraufhin stellte mir Esseri von Dengra die Frage, ob ich dem Weg der Ahnen folge und ich bejahte es.
Doch statt mir nun mit Misstrauen oder sogar Ablehnung zu begegnen, erwähnte er vielmehr das Schicksals eines Ahns von ihm. Helfen kann ich ihm jetzt noch nicht, aber es reizt mich ungemein, es zu versuchen, sobald ich dazu in der Lage bin. Oder sagen wir - es zu tun, denn ein Versuch beinhaltet immer die Möglichkeit des Scheiterns in sich und das will ich verhindern, denn zu riskant würde es werden.
Vielleicht würde sich, wenn ich Erfolg haben würde, der Umstand ändern, dass ich nicht selten das Gefühl habe, überhört zu werden?
Mehrmals fiel es mir in letzter Zeit schon bei verschiedenen Personen auf, dass ich seltener angehört werde, als andere. Es liegt natürlich an dem Umstand, dass ich noch nicht ganz so lange wie andere in der Oase verweile und noch weit am Anfang meines Weges stehe und doch kann es mich manchmal böse frustrieren. Aber ich stehe damit nicht alleine da - Armin sprach auch schon darüber, dass er das ebenso oft genug erlebt hat und sich fühlt, als würde er in Jaafars Schatten stehen. Ein Umstand, der uns beide noch näher zusammengeführt hat. Nun sprechen wir uns beide gegenseitig Geduld und Mut zu, damit wir auch diese Zeit hinter uns bringen können. Irgendwann wird man uns beiden schon Gehör schenken, hoffe ich.
Einen gewagten Versuch werden wir sogar in Kürze unternehmen. Mit Menelar möchten wir beide über verschiedene Dinge sprechen. Ein wichtiger Punkt sind sicher die Ruinen und was in ihnen vor sich ging und vielleicht noch geht, was das für uns alle in Zukunft bedeuten könnte, aber auch die Expedition in unser Reich durch das Institut ist ein wichtiges Thema, wie auch das Institut allgemein. Vielleicht wachsen durch das Institut unser Volk und das Volk der Kaiserlichen wieder etwas zusammen? Nötig scheint es wohl zu sein, bedenkt man die aktuellen Gefahren.
Der rote Konvent und störendes Gefühlswirrwarr
Wieder und wieder schrieb ich die Buchstaben ab, die ich von Kadir gelernt hatte. Ich will unbedingt bald richtig lesen und schreiben können, damit ich all das, was ich die letzten Tage und Wochen erfahren hatte, niederschreiben kann. Es wird immer mehr und mir scheint, mit fast jedem Tag kommen weitere Details hinzu und dann ist da noch eine Sorge. Was wäre, wenn es auch unter uns, hier in der Oase, Mörder geben könnte, die dem Roten Konvent angehören?
Seit dem Gespräch bei Menelar, als wir vom Tor im Kaiserreich zurückgekehrt waren, dachte ich immer wieder daran. Ich bemühte mich natürlich, ruhig zu bleiben. Allzu viel Misstrauen ist nicht gut, was man allein schon am Kaiserreich sieht. Ein solch reiches Land, gesegnet mit fruchtbaren Land und schattenspendenden Wäldern und doch lebt es in Angst.
Ich war Teil der Südländer, die zur sogenannten Stadt des Glanzes reisten, um dort auf die Nordländer zu warten und sich aufzumachen, um das nächste Tor zu reinigen und zu öffnen. Ein Mittelländer schloss sich uns noch an, der, wie es mir scheint, zum Institut von Krius von Dengra gehört. Am Tor angekommen bot sich uns nun ein anderes Bild, als in Dengra - Gestalten in roten Roben standen versammelt um ein kleines, schwebendes Licht. Es wirkte mehr wie ein Ritual. Einer von ihnen, der eine Sense in seiner Hand trug, hielt uns auf und sprach zu uns. Oder schwieg auf Fragen. Derweil sprach ich mit Armin, danach mit Dalia und noch während wir uns beratschlugen, schien sich jener mit der Sense aus dem Staub machen zu wollen und hetzte Untote auf uns. Die Waffen der Nordländer streckten sie rasch nieder und eines der Skelette zerfiel unter meinem Willen zu Staub. Auch die anderen Gestalten wurden bald schon niedergestreckt und so schaute ich mir das Licht an. Es war offenbar gefangen, wie es vor allem auf einer gänzlich anderen Ebene erkennbar war. Oder eher erfühlbar. Ich war selber unsicher bei dem, was ich da tat. Doch ich wollte etwas erkennen und zumindest der Wille verhalf mir zum Erfolg. Ein Sog war es offenbar und hier war nun eher Raum für Dalia und ihre elementaren Kräfte. Mit der Hilfe der anderen Südländer konnten wir das zuvor schluchzende und wimmernde Licht befreien und ein Torwächter zeigte sich uns, stellte die Rätsel, die von Samirah und, wenn ich mich nicht irre, Rya gelöst wurden und verschwand.
Doch genau in dem Moment tauchten Kaiserliche auf - vornehmlich Angehörige der Kirche und offenbar ein Gardist der Kaiserstadt, der laut rief, wir wären alle verhaftet. Mir blieb für einen Moment das Herz stehen, zumal ich mein Geisterszepter bei mir trug. Doch mit den anderen Südländern, die vor mir standen, hatte ich einen guten Sichtschutz und konnte den Stab in ein Tuch wickeln und an meinen Gürtel am Rücken klemmen, worüber der Umhang hing, so dass es nicht mehr auffiel, sofern man nicht meinen Rücken betrachtete.
Sah es am Anfang noch ausweglos aus, so ließ jener Kirchenmann in Rüstung offenbar mit sich reden. Auch ich versuchte ihn zu beruhigen, sprach seine Besorgnis bezüglich der Tore an, die ich vor einigen Wochen durchaus noch geteilt hatte und wies auf das Tun der Berobten hier am Tor hin. Auch die Roben selbst ließen ihn allmählich von seinem vorherigen Kurs gegen uns abkehren. Es schien, als wären diese Berobten bekannt im Kaiserreich - und gefürchtet. Seine Sorge galt wohl dann noch seinem Großmeister, dem er all das, was am Tor geschehen war, zu erklären hatte und ich bot ihm an, dass einer der unsrigen ihn begleiten könnte. Ich wäre durchaus selber gerne mit ihm gegangen, doch mit dem versteckten Stab war das keine besonders gute Idee - spätestens wenn man mich durchsucht hätte, hätte ich ein Problem gehabt. Armin jedoch begleitete ihn, während der Rest von uns zurückkehrte.
Recht spät erst kehrte Armin zurück aus dem Kaiserreich. Sein Gespräch mit dem Großmeister war wohl vergleichsweise kurz gewesen, dafür hatte es wohl wiederum einen unnötigen Disput zwischen dem Großmeister und den Nordländern gegeben. Unzweifelhaft sind viele Kaiserliche ausgesprochen beharrliche Prinzipienreiter.
Armin und ich entschlossen uns, Menelar, den Anführer der Oase, aufzusuchen und ihm Bericht zu erstatten. Etwas nervös war ich schon, als ich vor dem Palast stand, denn bisher war ich ihm nur einmal begegnet, hatte aber damals kein Wort mit ihm gewechselt, da ich bloß dem damaligen Treffen aller Oasenbewohner zugehört hatte. Nun galt es mit ihm aber direkt zu reden und sich vor allem gut zu benehmen.
Das Gespräch verlief angenehm. In seinem wahrhaft prächtigen Palast tranken wir mit ihm Tee und mehr und mehr erzählte er uns von jenen Berobten, die wir am Tor angetroffen haten - der Rote Konvent. Einen Schrieb hatte er uns noch übergeben, der mehr Informationen zu ihnen bereithielt und - wahrlich eine Überraschung - von Urias von Dengra geschrieben worden war. Auch von ihm sprach er und nun bin ich mehr denn je dazu entschlossen, diesen Mann ausfindig zu machen. Ich hoffe, dass ich bald Aktari sehe, damit ich mit ihm darüber reden kann.
Erst sehr spät verließ ich, vollkommen übermüdet, den Palast, derweil Armin noch etwas bei ihm blieb. Ich muss zugeben - ich bin stolz auf Armin. Am Tor verhielt er sich meist sehr besonnen, auch wenn es zwischen ihm und Rya ein wenig Rangeleien gab, aber ich denke, das lässt sich bald aus der Welt schaffen. Eigenartig war es nur, dass es mir ein wenig schwerfiel, ihm direkt zu sagen, dass ich stolz auf ihn wäre. Es war fast so, als würde ich zuviel "verraten".
Fraglich nun, ob es an Kadirs Worten vor kurzem lag. Kurz nachdem ich mich bei dem Elementarscholaren entschuldigt hatte wegen meinen unüberlegten Worten kürzlich, sprach er davon, dass Armin einiges für mich übrig hätte. Nun, ich verstehe mich gut mit ihm und wir beide haben schon vieles erlebt, aber fraglich, ob er wirklich so fühlt. Ich war mir da nicht so sicher und ich bin mir auch nicht sicher, was ich in der Hinsicht fühle. Wäre es überhaupt angebracht, sich auf so etwas einzulassen? Armin und ich haben beide noch viel zu lernen. Irgendwelche Gefühle könnten uns vielleicht sogar eher im Weg sein, als von Nutzen.
Die letzten Tage habe ich daher begonnen, Armin zu beobachten. Wie verhält er sich gegenüber anderen Frauen, wie mir gegenüber, wo ist da der Unterschied, wie reagiert er auf manche Worte von mir? Heute wagte ich es sogar und gab Worte von mir, die ihn nicht nur irritiert hatten. Ich hatte das Gefühl, als hätte er einen Moment verletzt ausgesehen, als ich gemeint hätte, er hätte ja nun Zeit für andere Frauen, wenn ich nicht da wäre. Ich sagte ihm, dass es nicht böse gemeint war und wollte mich an sich rasch aus dem Staub machen, als ich ihn noch etwas sagen hörte. Verwirrt war ich nun, als ich herumblickte zu ihm.
Ich bin immer noch nicht sicher, was ich fühle. Vielleicht ist es auch mein Widerstand gegen so etwas. Ich will in erster Linie eine Geisterbeschwörerin sein, wenn ich soweit bin. Zwar merke ich immer mal wieder, dass da wieder eine andere Seite ist, die verzückt Kleider und Schmuck kauft und mit Kadir scherzt, doch die Seite, die ich eigentlich zeigen möchte, will respektiert und stark sein und kein kicherndes Weib, welches nur Romantik im Sinn hat.
Wieder mal wünsche ich mir, Großmutter wäre bei mir oder würde zu mir sprechen, um mir einen Rat zu geben. Immerhin hatte sie geliebt, geheiratet und Kinder bekommen, ehe diese dann meiner Schwester und mir das Leben schenkten. Unmöglich wäre eine Verbindung also nicht.
Ich warte ab.
Zumal die Geschichte rund um den Roten Konvent und seinen Mitgliedern uns beschäftigt. Uns - das sind nicht allein Armin und ich. Auch Kadir haben wir darüber eingeweiht und ihm auch von den Geschehnissen am Tor und Urias von Dengra erzählt. Nachdem Armin mir und Kadir die Aufzeichnungen Urias' vorgelesen und wir darüber geredet hatten, hatten wir drei uns dann aufgemacht, um jenen Ort zu suchen, wo Urias vielleicht zuletzt gewesen war. Meine Vermutung war das Land weit im Westen des Nebellandes.
Der Weg dorthin war nicht ganz ungefährlich - Steppenorks griffen uns an, denn zu dritt fielen wir deutlicher auf, als wenn man dort alleine durchs hohe Gras huscht.
Im Westen wiederum schauten wir uns ein Lager an, in welchem, so schien es mir bisher, Räuber hausen. Doch nun fiel mir vor allem eines auf - sie trugen Rot. Kadir zeichnete noch ein Wandrelief ab und als wir einige dieser Gestalten niedergestreckt hatten, sahen wir uns in ihrem Gemäuer um. Das sah wahrlich nicht nach der Unterkunft einfacher Räuber aus, sondern mehr wie die von Magiern und Alchemisten, die sich lediglich zum Schutz einige Lakaien hielten, derweil sie ihre Untaten im Kaiserreich fortsetzen. Zumindest ist das meine Vermutung. Beweise haben wir dazu noch keine.
Ich führte die beiden weiter in den Westen, wo ich schon manches Mal Kräuter und Kokons des Seidenspinners gesammelt hatte. Dieser breite Pfad, der hier durch den Wald zu einem scheinbaren Platz führt, fiel mir dieses Mal nun besonders auf. Hier lebte niemand, warum also die Straße? Und warum dieser Platz?
Ich erinnerte mich an manche Legende - davon, wie durch gewaltige, magische Kräfte ganze Häuser oder sogar Ortschaften förmlich aus dem Erdreich "gerissen" und in eine andere Welt geschleudert wurden. Vielleicht war das auch hier passiert und damit verschwand auch Urias? Auch nur wieder eine Vermutung und wieder ein Punkt, den ich mit Aktari ansprechen muss. Sind es wirklich nur Legenden oder wäre das am Ende wirklich möglich?
Wir sahen uns weiter um, fanden aber nichts Ungewöhnliches mehr und kehrten wieder zurück in die Oase.
Armin wiederum erzählte mir am nächsten Tag von weiteren Informationen bezüglich dem Roten Konvent und wieder verfluchte ich mich im Stillen, dass ich noch nicht ausreichend Schreiben kann. Dafür will er es wohl nun notieren.
Gleich also nun, was wirklich Armins Gefühle sein mögen - wir haben derzeit offenbar andere Sorgen und damit kehren meine Gedanken wieder zurück zu der Sorge darüber, wo sich überall Mitglieder des Roten Konventes aufhalten könnten. Armin, Kadir und ich sollten bei unseren Nachforschungen besser vorsichtig vorgehen, damit wir nicht auffallen. Wenn ich nur einen der beiden verlieren würde ...
In diesem Moment denke ich an das Bild zurück, was sich mir bot, als ich Mutter und Vater nach dem schrecklichen Sandsturm tot in der Wüste fand.
Kopf oder Herz?
Leise plätscherte und gurgelte das klare Quellwasser, welches an das Seeufer sanft stieß. In der Pinie über mir sang leise ein Vogel sein Nachtlied, während der Schein der Sonne in einem Spiel aus Gold und Rosa verging. Tief atmete ich durch, während ich unterhalb des Baumes im Schneidersitz saß und mich einfach nur auf den Moment zu konzentrieren versuchte. Ich wollte meinen Kopf förmlich leeren, jeglichen Gedanken wie Kleidung abstreifen, denn ich hatte die letzten Wochen gemerkt, dass ich mir immer mehr und mehr Gedanken machte, die mich bisweilen sogar eher behinderten, als voranbrachten.
Und auch jetzt wollte es nicht so wirklich gelingen. Vielleicht half es ja, wenn ich ihnen einen Moment nachhängen würde? So blickte ich hinaus auf den See, derweil sich der Himmel darüber langsam verdunkelte und erste Sterne sich zeigten.
Ich kam nicht umhin, den ersten Gedanken Armin zu widmen. Wenn ich zuviel nachdenke, denkt er wohl zu wenig nach. Während mich mein Kopf leitet, ist es bei ihm das Herz. Nur in einem Moment hatte ich meinem Gefühl nachgegeben und war auf ihn zugegangen. Ein kurzer Kuss war es nur, doch der bedeutete so viel mehr als alle Worte oder jegliche Leidenschaft.
Seither denke ich viel über uns beiden nach, doch sobald wir beide allein sind, vergehen diese Gedanken. Allmählich genieße ich es, an seiner Seite zu lehnen, mit ihm zu sprechen, den Moment auszukosten und ab und an zu spüren, wie er durch mein Haar streicht. Erst wenn ich wieder alleine bin, beginnt mein Kopf erneut zu arbeiten und mein Verstand fragt mich, ob ich alles richtig mache.
Vernachlässige ich nichts? Habe ich mich richtig verhalten? Verhalte ich mich vernünftig in der Öffentlichkeit, wenn Armin in der Nähe ist?
All diese herumtanzenden Gedanken sind ein Graus und doch kann ich nicht davon ablassen. Ein guter Grund Ruhe und Gleichgewicht zu lernen. Vermutlich sind die meisten meiner Befürchtungen eh unbegründet. Selbst der Punkt, dass das, was zwischen uns steht - wie auch immer man das nennen mag, denn das Wort "Liebe" wirkt auf mich noch zu mächtig - uns auch zur Gefahr werden kann, wenn andere, wie der Rote Konvent, es als Waffe gegen uns einsetzen könnten, gebe ich langsam auf. Heißt es nicht, dass Angst die größte Waffe ist? Ich gehe davon aus, dass Armin das Richtige tun wird, sollte meine Befürchtung je eintreffen. Bis dahin werde ich ihn darin unterrichten, auch loslassen zu können und mit dem Tod, auch meinem, zu leben. Der Tod ist es nicht, den wir fürchten sollten - vielmehr sollten wir ein schlechtes, unerfülltes Leben fürchten. So lange hatte ich einem Sinn in meinem Leben, einem Platz in dieser Welt nachgejagt und nun kenne ich ihn und komme ihm immer näher. Vielleicht ist Armin ein Teil dieses Sinns - wer weiß das schon?
Davon ab können wir beide auch weiterhin gut Hand in Hand zusammenarbeiten. Sei es der Besuch bei Esseri Alastair, sei es die Erledigungen für das Treffen, welches Menelar einberaumen möchte. Generell ist alles anders, als damals, als ich mich verliebt hatte. Ich war jung und unerfahren, Djamil ebenso. Letztlich war es wohl eh nur die Neugierde, die uns beiden zusammengeführt hatte. So saßen wir abends am Feuer zusammen, natürlich unter den wachsamen Augen der Älteren. Ab und an neckten und ärgerten wir uns, hielten unsere Hände und ein oder zwei Küsse gaben wir uns. Nach kurzer Zeit war es vorüber. Ich hatte zeitweise ernsthaft gedacht, dass es vielleicht auch mein Weg sein könnte, eine Familie zu gründen, aber es stellte sich wieder mal als Irrturm heraus.
Im Stillen frage ich mich, ob es so bei meinen Eltern gewesen sein mochte? Sie liebten sich wahrhaftig, auch wenn sie nicht immer einer Meinung waren, auch wenn sie es manchmal vorzogen, etwas Abstand zu halten, um dann die Nähe des anderen wieder zu genießen. Einer ergänzte den anderen.
Als ich sie das letzte Mal sah ...
Ich schluckte und blinzelte etwas, rasch wischte ich mir über die Augen und versuchte den Gedanken an meine Eltern zu vertreiben und ebenso das Bild in meinem Kopf, was sich mir geboten hatte.
Es dauerte an diesem Abend noch lange, bis in die Nacht hinein, ehe ich innerlich Ruhe fand und endlich mein inneres Gleichgewicht zu finden wagte.
Meditation - Zeichnungen im Sand
Mein rechter Zeigefinger berührte den Wüstensand. Langsam, gleichmäßig begann ich in diesen zu zeichnen, indem ich Linien zog. Möglichst gleichmäßig und sauber sollten sie sein, auch wenn es länger dauern würde, sie zu ziehen. Perfektion wollte ich erreichen. Perfektion darin, Linien in den Wüstensand zu zeichnen.
Ich hätte früher darüber gelacht.
Ein Gedanke, den ich rasch fortwischte. Abschweifende Gedanken würden mir die Konzentration nehmen und mich von dieser Aufgabe, so unwichtig und unspektakulär sie auch erschien, ablenken. Ich dachte zuviel nach. Jetzt jedoch leerte ich meine Gedanken und ließ nur noch Platz für die Linien im Sand.
Mehr und mehr entstand ein Muster. Mal waren es gerade Linien, dann wurden sie umschlossen von einem Kreis, ehe daneben weitere Linien, ebenso umschlossen von Kreise, entstanden. Dazwischen plazierte ich kleine Punkte. An manchen Stellen groß, an anderen klein.
Einen Beutel öffnete ich und entnahm aus diesem Sand, den ich in der Region, die wir das "Flammende Licht" nennen, fand. Dieser Sand hat einen rötlicheren Ton, als wäre er tatsächlich vom Licht der Sonne verbrannt. Hier und da verteilte ich ihn in den Kreisen - so akkurat und gleichmäßig, wie es nur ging. Dicht hing ich über meinen Zeichnungen, dabei bemüht, sie nicht zu berühren, damit sie nicht zerstört werden. Mein ganzes Denken und Handeln war in diesem Moment nur auf den Sand unter meinen Händen ausgerichtet und kurz schoß es mir durch den Kopf - ich habe es geschafft! Mein Kopf ist frei!
Und erkannte in dem Moment, wie er sich schon wieder anzufüllen drohte mit Gedanken, die doch nur meine Freude über diesen ersten, kleinen, scheinbaren Erfolg ausdrückten.
Tief atmete ich ein, lehnte mich zurück, schloß die Augen und atmete durch. Für einen Moment rief ich mir ein Bild vor meinem geistigen Auge, was ich mir derzeit immer ins Gedächtnis rief, wenn ich innerliche Ruhe suchte - ein träge in der untergehenden Abendsonne dahinfließender Fluss, auf ihm kleine Boote, auf denen Menschen saßen oder standen und ein einzelner Ibis, der über sie hinwegfliegt, der Nacht entgegen.
Der Anblick beruhigte mich und so öffnete ich meine Augen wieder und nahm meine Arbeit von Neuem auf. Sogar etwas Erde aus dem Nebelland hatte ich in einem Beutel gesammelt und verteilte diese nun ebenso zwischen den Linien und Kreisen im Sand und verlor mich dann noch eine gute Weile darin, das Kunstwerk im Boden weiter auszubauen.
Dann war es vollbracht.
Ich drückte mich vorsichtig hoch, weiterhin darauf bedacht, nichts davon zu zerstören, was ich gerade erschaffen hatte. Einen längeren Moment stand ich da und betrachtete das Bild vor mir - mehrere Kreise, die komplexe Welten darstellen sollten, teils farbig ausgearbeitet mit rotem Sand und brauner Erde. Es sah schön aus.
Dann beugte ich mich hinab und wischte mit meinen Händen durch das Kunstwerk. Ich zerstörte es. Es schmerzte ein wenig, denn es hatte Zeit gedauert, bis es so schön wurde. Niemand hatte es gesehen und niemand wird es mehr sehen.
Als alle Linien und Kreise beseitigt waren, der rote Sand mit der braunen Erde und dem Sand der Wüste unweit der Oase vermischt war, ließ ich mich abseits unter einer Palme nieder und ließ meine Gedanken wieder zu. Doch geordnet - die Schönheit des Seins, der Schmerz des Verlustes, die Trauer um nie bewunderte Schönheit oder vielleicht sogar Perfektion. Doch auch die Mühelosigkeit der Zerstörung und den Platz, den die Zerstörung doch geschaffen hatte.
Und zuletzt die stille Freude darüber, dass ich zumindest für eine kurze Weile meine herumwirbelnden Gedanken abgelegt hatte, um mich einzig auf eine Aufgabe zu konzentrieren.
Der Rote Konvent in der Oase?
Ich hatte wahrhaft Schwierigkeiten einzuschlafen, als ich meinen gewohnten Platz am oberen See aufsuchte und mich dort unter der Palme bettete. Jedes noch so kleine Geräusch ließ mich aufhorchen und zuvor noch, als ich mit Nuroelle sprach und irgendein mir noch unbekannter Südländer wie ein Derwisch ans uns wortlos vorbeirannte, zuckte ich deutlich zusammen. Das Treffen Menelars mit uns sowie ein paar Kaiserlichen hatte seine Spuren hinterlassen.
In mehrfacher Hinsicht, wobei die andere Spur vergleichsweise unbedeutend ist. Es begann damit, dass Khabas mich gefragt hatte, warum er keine Einladung zu dem Treffen hätte. Ich versuche es ihm zu erklären und er erwähnte, dass er bei zumindest einem Tor dabei gewesen war. Der Umstand war mir unbekannt, doch ich blieb dabei. Armin, Kadir und ich hatten die Wahl getroffen und weder wollte ich ohne Rückfrage diese Wahl ändern, noch sah ich es als nicht sinnvoll an. Am Ende wäre die ganze Oase versammelt und man käme kaum zum Punkt. Offenbar setzte ich mich damit wohl in die Nesseln und bat Armin später, mit Khabas zu reden, was er tat. Es scheint, als hätte er Erfolg gehabt. Gut, Armin ist auf seine Art auch weicher als ich. Wo ich bei einem "Nein" bleibe oder lieber länger abwäge, hört er mehr auf seine Gefühle. Man könnte auch sagen, dass das Klischee der weichherzigen Frau und des stur-analytischen Mannes bei uns beiden vertauscht ist.
Auch kurz vor dem Treffen schaffte ich es mich wohl wieder vorerst unbeliebt zu machen, als ich gegenüber Goran deutlich auftrat. Entweder denkt wirklich jeder, ich - als Frau - wäre so derartig weich, dass man mich nur zu fragen brauchte und es daher nicht bei Kadir und Armin versuchten, die ebenso ihren Anteil an der Wahl gehabt hatten oder es mochte andere Gründe geben, die mir noch nicht bekannt sind.
Ganz egal - ich habe in den Tagen gelernt, dass ich mich nicht der Illusion hingeben sollte, dass ich jederzeit bei jedem beliebt bin, davon ab, dass es mir wichtiger ist, dass man meine Worte ernst nimmt und ich nicht einer biegsamen Schlange gleich jedes Hindernis umgehe.
Das Treffen wiederum nahm seinen Lauf. Ich hatte Nuroelle darum gebeten, etwas aufzupassen, da ich - so kurz ich sie auch erst kenne - ihr schon sehr vertraue und ihre vernünftige, ruhige Art zu schätzen weiß. Vielleicht war es aber auch eine unbewusste Vorsehung?
Die Gespräche, die sich vornehmlich um Urias von Dengra und den Roten Konvent drehten, waren im Grunde recht ruhig, sah man von den Zankereien zwischen Isurn Brauhaupt und Constantin Alastair ab. Als noch Dalia mit einstieg, als sie über Magiegesetze debattierten, reichte es mir und ich mahnte an, warum wir zusammensaßen. Offenbar hatte der Appell Erfolg und so waren wir eigentlich dabei, weiter über den Konvent und mögliche Schritte in naher Zukunft zu sprechen, als ...
Wenn ich mich recht zurück entsinne, so begann es erst etwas kühl zu werden, Nebel kam auf, was hier in diesem Land schon ungewöhnlich ist und dann schoss ein Bolzen heran, ehe das Chaos hereinbrach.
Verursacher des Chaos war ein einziger Mann, gekleidet in Rot und bewaffnet, welcher sich Menelar als Ziel auserkoren hatte. Mehr noch - es schien, als wären wir in der Anderswelt gelandet, denn es fehlte an jeglicher Farbe um uns herum. Rasch gingen die ersten Gäste bewusstlos zu Boden, derweil ich mit Nuroelle zu Menelar eilte. Dieser wurde vom Attentäter verletzt und ich rief nach Ilyana Liaril, entsann ich mich noch, dass sie eine Heilerin wäre. Glücklicherweise war sie in der Lage ihm zu helfen, so dass er den Anschlag überlebte. Auch der Attentäter wurde niedergestreckt und wir mussten mit Entsetzen feststellen, dass jener ein Angehöriger unseres Volkes ist.
Wir besprachen uns noch, untersuchten den Bolzen, die Rüstung, die Waffen und Nuroelle schlug gerade vor, dass ich den Attentäter untersuchen solle, als sich auf einmal ein rotes Tor auftat und eine Person mit eigenartig blauer Haut hervortrat und jenen Attentäter auf offenbar magische Weise zu sich holte und mit diesem verschwand. Athenor, wenn ich den Namen noch richtig im Sinn habe, hieß er laut Isurn. Jener Dämon also, von dem ich schon mal durch Armin gehört hatte.
Die Gesellschaft löste sich bald auf. Ich begleitete gemeinsam mit Nuroelle Esseri Alastair zur Kaiserstadt, da er ohne Waffen und Rüstung war - und davon ab, zog ich es vor, ihn und Isurn zu trennen, sonst wäre wohl noch einer von den beiden auf dem Rückflug vom Teppich geworfen worden!
Ich hatte mir die letzten Wochen noch eingeredet, dass ich mir nicht allzuviel Sorgen machen muss. Ja, den Roten Konvent gibt es und er stellt eine Gefahr dar, aber ich hatte die Sorge, dass ich und auch andere zu misstrauisch werden könnten, wenn ich mir vorstellen würde, der Rote Konvent wäre auch unter uns in der Oase.
Offenbar kann man nicht misstrauisch genug sein.
Doch das Misstrauen ist es auch, was mich schwer einschlafen lässt. Etwas beruhigend ist zwar der Gedanke, dass ich mich auf Armin, Kadir und seit kurzem auch Nureolle stets verlassen kann, aber wie man bei dem Anschlag sah, kann auch das kaum helfen, wenn plötzlich ein Bolzen auf einen geschossen wird und ein Mensch, welcher sich so unmenschlich schnell bewegt und über Kräfte zu gebieten scheint, die mehr einem dunklen Magus oder sogar Scheitan gleichen, einen anzugreifen versucht. Vorsichtiger denn je müssen wir nun gegen den Konvent vorgehen.
Die Expedition
Ich kehrte zurück in die Oase und mich umfing sogleich das Plätschern des Wasserfalls nahe der Höhlen und aus den Aquädukten, die die Oase mit Wasser vom oberen Quellsee versorgen. Das vielfache Rufen und Zwitschern verschiedener Vögel drang an meine Ohren und geschäftiges Treiben auf den Straßen erblickten meine Augen. All das war schon so vertraut, auch wenn es seit kurzem einen bitteren Beigeschmack hatte - könnte jener fliegende Händler vielleicht ein Kultist sein? Wer von den Beschützern der Oase mag schon korrumpiert sein? Wem kann man wirklich trauen? Wem darf man wieviel erzählen? Kann ich Musad weiterhin meine Briefe schreiben lassen, wenn es um den Roten Konvent geht?
Diese Sorgen hatte ich in der Wüste nicht unbedingt. Am letzten Abend, als ich mit Armin in der Steinkatze auf einem Umhang saß und wir uns dies und das erzählten, was wir erlebt und erfahren hatten, fühlte ich - und nicht nur ich allein - diese Freiheit, die die Wüste bot. Davon ab, dass sie unsere Heimat ist, wo wir zur Welt kamen und aufwuchsen.
Entsprechend traf es mich schon, als Arkhos Worte über die Gegend und über die Geister fallen ließ, die aber letztlich nur darauf zurückzuführen sind, dass er nunmal ein einfacher Kämpfer ist, der seiner Göttin folgt und nichts anderes zu kennen scheint. Vielleicht sollte ich ihm bei einer anderen Gelegenheit darauf hinweisen, was das Wort "Gastfreundschaft" für einen Gast bedeutet. Andererseits war ich auch teils angenehm überrascht von diesem Söldner - er hängt, im Gegensatz zu Isurn und jener Frau, die man "Ray" nannte - immerhin an seinem Leben und vermeidet kopflose Aktionen und überstürztes Vorpreschen. Das halte ich ihm schon mal zugute.
Was die Expedition angeht, so bekam ich nun eine spürbare Kostprobe der Zwischenwelt und mehr denn je dürstet es mich, Aktari zu sehen, auf dass ich hoffentlich in naher Zukunft selber in der Lage bin, den Weg aus dieser Welt zu finden. Als wir nahe der Ruinen wanderten, verschluckte uns die Zwischenwelt überraschenderweise und wir konnten allesamt von Glück reden, dass wir jenen Mann dort trafen, der uns letztlich half, wieder zurück in unsere Welt zu kehren. Interessant war er allemal und ich hoffe, ich kann ihn irgendwann wieder einmal treffen, ist er doch in der Lage andere Welten zu bereisen.
Aber auch die Untersuchung der Steinkatze in der Wüste brachte etwas Unerwartetes zutage. Ich bin nun gespannt, wie das Institut weiter verfährt und ob es uns wissen lässt, um was es sich genau bei dem Schwert dreht, was sie dort fanden. Aber ich vertraue auch Armin, dass er in dem Fall mit Nachdruck aufzutreten weiß. Es mag sein, dass Menelar die Wüste als einen Ort des Todes und des Durstes ansieht, aber es ist meine Heimat und mir bereitet der Gedanke Unbehagen, dass Kaiserliche sich ungehindert an der Wüste bedienen könnten, so karg sie auch sein mag, zumal es sicher einen Grund gab, weswegen das Schwert dort lag. Was wäre, wenn durch das Entfernen des Schwertes ein Geist verärgert wurde, der uns heimsuchen würde?
Andererseits halte ich aber Krius von Dengra für umsichtig genug. Mir gegenüber zeigte er sich bisher verhältnismäßig offen, soweit man das von einem kaiserlichen Adeligen sagen kann. Immerhin halte ich nun etwas in den Händen, was mir helfen könnte, seinen Onkel zu finden.
Und wieder schweifen meine Gedanken zu Aktari. Ich dürste nach seinem Wissen und fühle mich, als wäre ich in einer Wüste der Unwissenheit gefangen. Und nicht nur die Reisen in anderen Welten oder das Auffinden von Urias sind es, die mich derzeit beschäftigen. Armin hatte mir Interessantes vom Unterricht bei Meister Kazeem, bei dem Kadir lernt, berichtet. Vielleicht kann es mein Mentor sogar bestätigen, sofern er um die Geheimnisse unserer Tätowierungen weiß.
Schattentanz
Ich wusste, dass ich träumte. Das war neu. Aber im wahren Leben hätte ich nicht das getan, was ich nun tat.
Ich fand mich wieder am Feuer meines Stammes, sah sie alle um mich versammelt, über die ich gewacht hatte, ehe die Totenzeremonie abgeschlossen war. Normalerweise wäre ich zumindest verwirrt gewesen, warum sie wieder bei mir waren, aber dieses Mal erschien es mir klar, dass es nur ein Traum war.
"Nur" ein Traum - wirklich "nur"?
Ich sah mich, wie ich zu einer Musik, die quälend langsam begann, zu tanzen anfing. Darbouka wurden geschlagen, das Riqq mit seinen Schellenpaaren stieg mit ein und ich sah mich in fließenden, weißen Gewändern zur Musik bewegen.
Ich hatte früher nicht oft getanzt. Ich überließ es lieber jenen im Stamm, welche mit einer üppigeren Weiblichkeit aufwarten konnten. Aber ich spürte, dass es egal war. Ich dachte nicht daran, ob es gut aussah. Es sah gut aus - weil ich etwas tanzte, was in mir tief zu schlummern schien und befreit werden wollte - wie eine Erkenntnis, die ausgesprochen werden möchte. Die Musik, die Bewegungen, das Gefühl dazu - das alles berührte mich in meinem Inneren. Ließ mich schauern und antreiben, als könnte ich nicht genug davon bekommen.
Gräulich verfärbten sich meine Gewänder, während ich mich ums Feuer bewegte, lockend die Finger bewegend.
Und dann erkannte ich mehr als nur meine Ahnen. Schatten vibrierten und erzitterten unter meiner lockenden Gestik, die wie ein Ruf wirkte, ehe sie sich wabernd erhoben, Formen annahmen, ohne wirklich stofflich zu werden. Ich sah mich, wie ich sie lockte, erkannte, wie das Feuer sich wandelte und dunkler zu werden drohte, ohne an Licht einzubüßen, denn im tiefen Inneren brannte noch eine blaue, glühendheiße Flamme.
Rascher wurde die Musik, rascher mein Tanz und schneller wirbelte ich mit den Schatten umher, verschwimmend scheinbar, als würden wir eins werden - eine Ewigkeit, so schien es, während meine Ahnen mir zusahen. Waren sie es sogar, die die Musik spielten, nach der ich mich drehte und bewegte?
Dann endete es.
Zurück blieb einzig ich, auf dem kargen, vom Wind geradezu wellenförmig geschnittenen Wüstenboden, während weit im Osten die Sonne sich allmählich erhob. Meine Gewänder waren schwarz.
Meine zweite Welt ist die nicht-materielle Welt der Schatten und Geister. Nichts davon ist fassbar, oftmals nicht sichtbar, vor allem nicht für das unkundige Auge. Bestenfalls kann man sie fühlen. Ihre Präsenz, die einem Schauer über den Rücken jagt und das Herz rascher klopfen lässt. Geister sind nicht grundsätzlich gut oder böse. Sie sind fast wie wir, denn auch wir haben unsere Gründe, warum wir etwas tun, was manche nicht als gut ansehen. Ist ein Mann denn böse, der einen anderen tötet, um seine Familie zu schützen? Ist ein Geist böse, welcher auch nur etwas zu schützen versucht oder ein Ahn, welcher von unerfüllter Rache getrieben wird?
Ja, dachte ich, als ich noch zwischen Wachen und Träumen schwankte, das Echo einer anderen Zeit und eines anderen Raumes verklang und langsam die Müdigkeit meines Körpers spürte, der meinem erwachenden Geist zu gehorchen hatte. Das ist mein Weg.
Der Sandsturm
"Asra! Trödel nicht! Wir wollen bald die Berge erreichen!"
Rasch drehte sich der Kopf mit den unzähligen Zöpfen herum zu der Quelle der Stimme. Streng war der Blick des Onkels, doch Asra wusste, dass er es letztlich nur zum Besten aller meinte. Trotzdem wäre sie noch gerne geblieben. Diese Oase war so friedlich und hatte ihnen allen viel geboten. Nur einen Tag länger, dachte Asra im Stillen. Nur einen Tag länger von den köstlichen Früchten hier essen dürfen, noch einen Tag länger die Ruhe dieses Ortes genießen.
"Nun komm endlich!"
Eilig räumte Asra ihre letzten Habseligkeiten zusammen. Da war noch etwas. Etwas, was sie nicht wirklich bestimmen konnte. Das war nicht allein die köstliche Fruchtbarkeit der Oase, die sie hielt. Leicht schüttelte sie ihren Kopf und schob das Gefühl von sich. Ihre Schwester war nun die Schamanin des Stammes und wenn diese auch der Meinung war, es wäre richtig wieder aufzubrechen, dann war das eben so. Was wusste sie, Asra, denn schon davon, ob es nun besser wäre hier zu bleiben oder nicht?
Die Sonne war noch nicht gänzlich aufgegangen, als sie ihre Reise begannen. Einige Kamele, nur noch wenige Ziegen sowie ein paar Hunde, die vor allem auf die Ziegen achteten, dazu mehrere Dutzend Menschen verschiedenen Alters zogen weiter. Wer nicht krank oder zu alt war, ging zu Fuß, wobei die jüngsten Kinder meist in einem Stofftuch vor der Brust ihrer Mutter hingen. Jeder hatte seine Habseligkeiten auf den Rücken geschnallt, während einige Zelte auf den Rücken der Kamele transportiert wurden. Am heutigen Abend sollten sie das Gebirge erreichen, hieß es. Dort würde man die kommende Regenzeit abwarten, ehe man wieder hinaus in die Wüste reisen und die erblühende Pracht genießen würde.
Ein paar Stunden waren sie wohl schon gereist. Langsam zog die Karawane über Dünen aus Sand und Gestein, wo bedingt durch die Trockenzeit nur noch wenig trockenes Gestrüpp wuchs, an dem ab und an eine Ziege mal hielt, um etwas zu fressen, ehe sie ein Hund oder Mensch weiter antrieb. Doch dann kam die Karawane zum Halten.
Weiter vorne, wo Asras Vater und Onkel gingen, wurde offenbar diskutiert und rasch schob sie sich etwas weiter voran, um mitzubekommen, worum es ging, doch bevor sie die beiden erreichte, sah sie bereits, was sie zum Anhalten bewogen hatte. Entsetzt weiteten sich ihre dunklen Augen, die einer schmutzig-graugelben Wand entgegen blickten, welche vom Nordwesten auf sie zuraste. Fast der gesamte Horizont in der Richtung schien nur noch aus dieser sich ständig neu formenden Wand aus wirbelnden Sand zu bestehen - ein Sandsturm.
Vielleicht wäre Asra in dem Moment ihr Gefühl eingefallen, welches sie noch in der Oase gehabt hatte, hätte sie die Ruhe dafür gehabt. Doch wer in der Wüste lebt und einem solch gewaltigen Sandsturm entgegenblickt, hat nur noch eines im Sinn - Flucht und die Suche nach einem schützenden Platz.
Hektischer wurde es. Es wäre zwar nicht das erste Mal gewesen, dass sie einen Sandsturm erlebt hätten, doch dieser sah schlimmer aus, als das, was sie bisher erlebt hatten. Die Tiere wurden immer unruhiger und ihr Onkel gab die Anweisung, so schnell wie möglich nach Nordosten zu fliehen. Dort gab es zumindest einige Felsformationen, erste Ausläufer des nahen Gebirges, wo man Unterschlupf finden könnte.
Keuchend rannte Asra durch den Sand, wagte nur einmal einen Blick zurück zur finsteren Wand, die sich hinter ihnen immer weiter auftürmte und näher raste. Sie glaubt sogar in dieser Wand aus Wind, Sand und Gestein vereinzelt wirbelnde Palmen ausgemacht zu haben. Ab und an half sie jemanden auf, der im Sand gestürzt war, schaute sich zu den Seiten um, in der Hoffnung, alle würden die rettenden Felsen erreichen können. Mehr und mehr riss der Wind an ihrer Kleidung und an ihrem Haar, Sand wirbelte allmählich auf und sie blinzelte, als ihr dieser ins Gesicht und in die Augen flog. Das Pfeifen des Windes nahm zu, die Umgebung und der Himmel verdunkelten sich, doch dann spürte sie die ersten Felsen unter ihren Füßen und eilig verkroch sie sich in einer Felsspalte, mit ihr zusammen ein paar Kinder samt Ziege und Hütehund.
Wie lange sie dort dicht gedrängt ausgeharrt hatten, konnte Asra nicht genau sagen. Am Anfang hatte sie noch die Schreie von draußen gehört, dann nur noch den Wind, ehe dieser langsam nachließ und sie statt der Schreie das leise Wimmern der Kinder und Fiepen des Hundes hörte. Irgendwann ging die Dunkelheit des Sturmes über in die Dunkelheit einer Nacht, die so friedlich wirkte, dass man es für Hohn hätte halten können. Vorsichtig und steif kroch sie wieder hervor, hieß die Kinder dort noch etwas auszuharren, damit sie sie wieder finden konnte, wenn sie andere des Stammes ausgemacht hatte.
Einige weitere Mitglieder des Stammes hatten in anderen Spalten ausgeharrt und kamen nun ebenso hervorgekrochen, doch waren es nicht viele. Zahid, ein Beschützer des Stammes, war einer der ersten, den sie traf und der rasch zu organisieren begann - ein Teil des Stammes sollte ein provisorisches Lager zwischen den Felsen errichten und vor allem Feuer entzünden, so dass sie sich einerseits wärmen konnten, andererseits um gefährliche Wesen abzuschrecken, aber auch damit versprengte Reste vom Stamm das Feuer sehen und zu ihnen finden konnten. Andere wiederum zogen mit ihm los, um nach dem Rest des Stammes zu suchen. Asra kam mit ihnen, denn voller Sorge hatte sie festgestellt, dass sie weder ihre Schwester, noch ihre Eltern gesehen hatte. Ihr Onkel wiederum war schwerverletzt am Rande der Felsen aufgefunden worden und es war fraglich, ob er die Nacht überleben würde.
Mit Fackeln ausgestattet gingen sie wieder tiefer in die Wüste hinein, fanden die meist leblosen Körper von Kamele, Ziegen und Menschen. Oftmals waren sie wohl hoch in die Luft gewirbelt worden, ehe sie wieder zu Boden gestürzt worden waren. Manche waren auch von herumwirbelnden Steinen oder Palmen getroffen worden, andere schlichtweg am Sand erstickt.
Träge erhob sich die Sonne am Horizont, als Asra und ein Jäger des Stammes erneut Leichen im Sand fanden. Asra hatte schon das Gefühl, vollkommen abgestumpft bei diesem Anblick zu sein, doch dieses Mal war es anders - ihre Eltern lagen dort im Sand und abgesehen von den Verletzungen ihres Vaters, der noch immer seine Arme um seine Frau geschlungen und sie mit seinem Körper geschützt hatte, schien es fast, als würden beide lediglich friedlich schlafen.