Ilayda bint Zhaabiz
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Einige von ihnen werden niemals und andere sollten niemals gelüftet werden.“
Warnende Worte eines Weisen an einen tollkühnen Abenteurer.
Der Wüstenwind strich sanft über die in Fetzen herabhängenden Reste dessen, was einmal mehrere Zelte gewesen sein mochten. Einige Pfähle standen noch aufrecht, andere waren zerbrochen und lagen herum. Von dem Feuer, welches einmal in der Mitte des Zeltlagers gebrannt haben mag, war nicht mehr zu sehen als verkohlte Äste. Es würde nicht mehr lange dauern und die Wüste würde die letzten Spuren des Lagers verschlungen haben und damit alle Hinweise darauf, was hier geschehen seien mochte.
Irgendwo hinter einer Düne erklang das Heulen eines Wüstenhundes, ein anderer antwortete ihm. Ein weiterer Windstoß wirbelte den Sand zwischen den Lagerresten auf, tanzte um die Überreste menschlicher Körper, die hier gewaltsam ihr Ende gefunden hatten. Zumindest die Aasfresser würden in dieser Nacht reichlich Nahrung finden.
Das angesengte Stück einer Seite flog davon und würde mitsamt dem darauf Geschriebenen für immer in den Weiten der Wüste verschwinden:
Und Du meine Kleine, wirst mir ein hübsches Sümmchen einbringen.“
Abschiedsworte Denbars, Anführer der Krähenkrallen, an Ilayda.
Zwei Frauen, eine davon ihre Mutter, ein Junge an der Schwelle zum erwachsen werden und Ilayda waren die Einzigen, welche den Überfall der Sklavenjäger überleben sollten. Wie Gepäckstücke waren sie verschnürt und auf die Rücken der Pferde geworfen worden, bevor die Gruppe mit ihnen unbekanntem Ziel aufbrach.
Drei Tage später hatten sie die Wüste und Berge hinter sich gelassen und waren in einem kleinen Dorf an der rauen See angekommen Ilayda hatte bislang nur vom Meer gehört, es selbst jedoch noch nie zu Gesicht bekommen und unter anderen Umständen, hätte es ihr sicherlich den Atem verschlagen. Die Naturgewalt des Wassers in seiner Wildheit, doch die Männer ließen ihr kaum genug Zeit um dieses Wunder zu bestaunen.
Die Gefangenen wurden über einen alten Steg zu einem ebenso wenig vertrauenerweckendem Schiff gebracht. Ein breitschultriger Seemann rief den Männern etwas zu, was diese mit freudigem Gelächter beantworteten. Die beiden Kinder wurden unter Deck gebracht. Sie erwartete ein weit gnädigeres Schicksal als die beiden Frauen auf der vor ihnen liegenden Reise.
Anfänglich hörten die beiden Kinder noch die Stimmen der Frauen, wie sie schrien oder um Gnade für sie und ihre Kinder flehten. Ilayda hatte ebenfalls geschrien, geweint und den Wächter angefleht ihre Mutter zu ihr zu lassen. Der Junge hatte es gewagt selbigen in seinem Zorn sogar anzugreifen und nur ein Augenblick früher und er hätte den Säbel zu fassen bekommen. Nun lag er gefesselt neben ihr und atmete flach. Die Augen waren zugeschwollen, die Lippe aufgeplatzt und einige Zähne abgebrochen.
Es war ein ungleicher Kampf gewesen. Der Wächter hatte sich nicht zurückgehalten und seine Überlegenheit in jeglicher Hinsicht gezeigt um dem Jungen, und damit auch ihr, eine Lektion zu erteilen, darüber was sie erwarten würde, sollten sie es noch einmal wagen aufzubegehren.
Die erste Nacht hatte Ilayda geweint doch nun waren ihre Augen trocken. Sie konnte nicht mehr weinen. Wie viel Leid vermag ein Kind zu ertragen und ab wann erstickt die Flamme einer Kerze oder wird zu einer Feuersbrunst? In Ilayda entstand in dieser Nacht ein Funke, welcher eine Flamme entfachen würde.
Nur anhand der Mahlzeiten hätten die Kinder zählen können wie lange sie unterwegs waren, bevor sie in einem unbekannten Hafen anlegten. Als sie das erste mal seit einer gefühlten Ewigkeit wieder den Himmel sah, war dieser wolkenverhangen. Regen fiel in einer Menge zu Boden und durchnässte ihre Kleidung, wie sie es nur aus der Regenzeit kannte, doch diese lag noch in weiter ferne.
Zwei Schritte vor ihr lief der Junge, beiden von ihnen hatte man einen Eisenreif um den Hals gelegt und die beiden mit einer Kette verbunden. Zwei weitere Manschetten waren um ihre Handgelenke geschlossen worden.und weitere Ketten verbanden das Halsband, wie der Wächter es spöttisch genannt hatte mit den Armreifen.
Im Fackelschein konnte sie alte Mauern erkennen. Modriger Geruch stieg aus dem Hafenbecken in ihre Nase und die Sklavenhändler stießen sie unsanft vorwärts. Die Bohlen, welche das Schiffsdeck mit dem Pier verbanden, waren schwarz und vom vielfachen begehen ausgetreten. Bei jedem Schritt hatte Ilayda das Gefühl sie würden unter ihr nachgeben. Für einen Augenblick keimte die Hoffnung in ihr, ihre Mutter zu sehen, doch jeder Versuch sich umzudrehen wurde mit einem weiteren Stoß in ihren Rücken unterbunden.
Vom leisen klirren der Ketten begleitet stolperte sie mehr als das sie lief dem Jungen hinterher, vorbei an Gebäuden, welche sie in dieser Art noch nie gesehen hatte. Alter, grauer, unbehauener Stein mit von Moos überwucherten Fugen zusammengehalten. Schwere mit rostigen Eisenbeschlägen versehene Türen und Fenster, welche mit stumpfem Glas verschlossen waren.
Kein Licht oder Laut drang aus dem Inneren der Häuser nach draußen und wenig später bogen wurden ihre Schritte in eine schmale Gasse gelenkt. Worte waren während der ganzen Zeit nicht gewechselt worden, eine jeder der Männer, welche sie führten kannte seine Aufgabe und den Weg. Sie hielten neben einer hinabführenden Treppe an. Nur einer der Männer ging hinab und klopfte an, ein Sichtschlitz wurde zurückgeschoben, unverständliche Worte gewechselt und kurz darauf wurden die Verschleppten die Treppe hinunter geführt.
Der Gang vor ihnen war nicht sonderlich lang. Vor ihnen lief nun ein Mann mit einer Kerze und führte die Gruppe in den nächsten Raum. Eine Treppe führte sie noch tiefer unter die Erde. Sie wurden durch feuchte und dunkle Gänge geführt, weit länger als jedes Haus war, an dem sie auf dem kurzen Weg vorbeigekommen waren.
Aus der Dunkelheit vor ihnen erklang ein scharfer Befehl: „Stehen bleiben, wer da?“ „Denbar. Lasst die Armbrust sinken und macht den Weg frei. Ich will vor dem Morgengrauen wieder fort sein.“ „Ihr wart lange nicht mehr hier Denbar. Ich hoffe ihr habt nicht vergessen, das ihr Gelmin noch einen Burschen schuldet, nachdem ihr seine letzte Investition niedergestochen habt.“ „Ich bin nicht mit leeren Händen hier. Gelmin bekommt sein Frischfleisch und ich habe noch mehr mitgebracht. Die Fleischschau hat noch nicht begonnen?“ „Die letzten Interessenten werden in kürze eintreffen.“ „Gut. Wir gehen weiter.“
Der Mann mit dem Denbar gesprochen hatte verschwand ungesehen wieder in einer Nische und ließ die Gruppe passieren. Sie bogen noch einmal ab und betraten einen Keller in dem schummriges Licht herrschte. „Bringt den Knaben zu Gelmin. Wir brechen auf, sobald sie verkauft ist.“
Der Junge wurde durch eine Tür fortgebracht, wenig später öffnete sich eine zweite an einer anderen Seite des Raumes. „Bringt eure Ware raus Denbar.“, der Besitzer der Stimme war nicht zu sehen, doch kaum das die Tür wieder geschlossen war, näherte sich der Anführer der Krähenkrallen seiner Gefangenen.
Sie war als Ware bezeichnet worden, wie ein Stück Stoff oder Nahrung auf einem Basar. Tränen hatte sie keine mehr übrig, nur blanker Hass für die Männer, die sie verschleppt hatten und Furcht war ihr geblieben. Sie wollte zurückweichen, doch die Hand des Mannes war schneller und packte sie am Kiefer. Unsanft drehte er ihren Kopf zu sich und zwang sie dazu ihn anzusehen.
Trotzig blickte sie ihn an und wenn Blicke töten könnten, so wäre der Kapitän wohl auf der Stelle tot umgefallen. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem kalten Lächeln. Mädchen mit Temperament erzielten immer einen höheren Preis, soviel wusste er und dann war dort noch diese Tätowierung. Denbar fuhr die kunstvollen Linien, welche von ihrer Schläfe über ihre Wange verlief und sich am Hals fortsetzte, mit seinem Finger nach. Es war eine Arbeit, die von einer Fingerfertigkeit zeugte, wie man sie im Kaiserreich kaum finden konnte. Wo er so darüber nachdachte, sahen die Linien aus wie die obersten Ausläufer einer Flamme.
Falten bildeten sich auf seiner Stirn, als er den geschmiedeten Halsreif mit seinen Fingern erreicht hatte. Die Flammen verschwanden unter dem Reif und setzten sich auf dem Schlüsselbein fort. Wieder begann er wie ein Wolf zu grinsen, denn sollte er recht behalten, so würde er diesen Ort mit sehr viel mehr Reichtümern verlassen, als er erhofft hatte. Ilayda wollte ihre Hände hochreißen, doch ihr Versuch einer Gegenwehr änderte nichts an dem Resultat. Der Stoff des Hemdes hielt dem Ruck nicht stand und ihr Oberkörper war halb entblößt.
Denbar konnte nicht anders als anerkennend zu nicken, denn der Elementarist hatte wahrlich ganze Arbeit bei diesem Kunstwerk geleistet. Die wie Flammen anmutenden Linien zogen sich über die Schulter des Kindes hinweg bis auf den Oberarm. Weitere Flammentätowierungen umrahmten den flachen Brustkorb, zogen sich über die Taille und Hüfte hinweg und verschwanden unter dem Hosenbund. Erst auf dem Oberschenkel hatte der Meister dieses Kunstwerk vollendet.
Denbar strich sich über den Schnurrbart. Dieses Mädchen war wahrlich ein Schatz. Er konnte sich durchaus vorstellen, wie diese Tätowierungen erst wirken würden, wenn aus dem Kind eine Frau geworden war und wenn er dies erkennen konnte, dann sicherlich auch die Fleischbeschauer, die über ihm darauf warteten.
Er entfernte die letzten Stoffreste von ihrem Körper. Jede Gegenwehr unterband er ohne große Mühe, so sehr sich Ilayda auch zu widersetzen versuchte. Denbar packte sie im Nacken und schob sie vor sich her durch die Tür und eine Treppe hinauf.
„Der Handel mit Sklaven ist ein Geschäft wie jedes andere auch. Wir bieten eine Ware feil und je exotischer sie ist, desto mehr verlangen wir für sie. Und Du meine Kleine, wirst mir ein hübsches Sümmchen einbringen.“, waren die letzten Worte, welche Ilayda von ihm hörte, ehe er sie durch einen schweren Vorhang stieß.
Beinahe wäre sie gefallen, doch zwei kräftige Hände packten sie an den Armen und richteten sie auf.
Sie wollte schreien, doch ihre Stimme versagte ihr den Dienst. Sie kämpfte mit ihren Gefühlen, versuchte sich den Griffen zu entwinden und musste die Bemühungen schließlich doch einstellen, denn ausgerichtet hatte sie, bis auf die Tatsache das ihre Arme schmerzten, nichts.
Sie stand auf einer Art Bühne, Fackeln an den Wänden erhellten diese, der Rest des Raumes lag im Halbdunkel. Gestalten saßen an Tischen und unterhielten sich miteinander. „Was haben wir denn hier? Einen wahren Wildfang wie mir scheint.“, die Worte des dickbäuchigen Mannes lösten Gelächter im Raum aus. „Ein wenig aufmüpfig, doch die Herrschaften haben sicherlich ihre Mittel und Wege mit so etwas fertig zu werden.“
Ilaydas Kopf wurde zur Seite gedrückt, als der Mann auf die kunstvolle Tätowierung zu sprechen kam, damit auch alle anderen im Raum sie bestaunen konnten. Wieder versuchte sie sich zu wehren mit dem selben Erfolg wie zuvor. Es fühlte sich an als würde eine Ewigkeit vergehen, bevor sie auf ein einziges Handzeichen hin wieder hinter den Vorhang geschafft und in einen Raum gesperrt wurde.
An der Wand saßen einige Frauen zusammengekauert, sie alle waren aus ihrem Leben gerissen worden, doch wenigstens hatten sie ihre Kleider noch, während das Kind der ihren beraubt worden war. Erst jetzt wurde ihr dies so wirklich bewusst, da die Kälte des Gemäuers ihr in die Glieder kroch. Sie kauerte sich vor Angst und Kälte gleichermaßen zitternd zusammen und vergrub ihr Gesicht zwischen den Knien.
Die Zeit verging und der Raum wurde leerer. Immer wenn die Tür sich öffnete wurde eine der Frauen von den Männern die sie hier hineingebracht hatten aufgegriffen und hinaus gebracht. Die einzige Frage war, wann es Ilayda sein würde.
An einem Tisch vor der Bühne zogen sich derweil die Verhandlungen über den Preis, der für das südländische Mädchen gezahlt werden sollte, in die Länge. Denbar und Tharn saßen sich gegenüber und feilschten miteinander. Ein Sack voll Silberdrachmen sollte am Ende der Preis für die Kindheit Ilaydas sein.
Zufrieden schob Denbar den Sack unter sein Hemd und erhob sich. „Wie immer eine Freude mit euch Geschäfte zu machen Tharn.“, sagte der Sklavenjäger und verließ den Tisch. Der Angesprochene blickte ihm nach, rieb sich die Hände und nahm dann noch einen Schluck des teuren Rotweins, während er darüber nachdachte, wie er seinen neuesten Besitz gewinnbringenden einsetzen konnte. Bis aus dem Kind eine Frau geworden war, würden noch gut und gerne acht Jahre ins Land ziehen, doch Tharn der Wucherer war nie ein Mann gewesen, der nur kurzfristige Pläne schmiedete.
Die Sonne hatte den Horizont bereits rot gefärbt als Ilayda fortgeschafft wurde.