Ilayda bint Zhaabiz
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Einige von ihnen werden niemals und andere sollten niemals gelüftet werden.“
Warnende Worte eines Weisen an einen tollkühnen Abenteurer.
Der Wüstenwind strich sanft über die in Fetzen herabhängenden Reste dessen, was einmal mehrere Zelte gewesen sein mochten. Einige Pfähle standen noch aufrecht, andere waren zerbrochen und lagen herum. Von dem Feuer, welches einmal in der Mitte des Zeltlagers gebrannt haben mag, war nicht mehr zu sehen als verkohlte Äste. Es würde nicht mehr lange dauern und die Wüste würde die letzten Spuren des Lagers verschlungen haben und damit alle Hinweise darauf, was hier geschehen seien mochte.
Irgendwo hinter einer Düne erklang das Heulen eines Wüstenhundes, ein anderer antwortete ihm. Ein weiterer Windstoß wirbelte den Sand zwischen den Lagerresten auf, tanzte um die Überreste menschlicher Körper, die hier gewaltsam ihr Ende gefunden hatten. Zumindest die Aasfresser würden in dieser Nacht reichlich Nahrung finden.
Das angesengte Stück einer Seite flog davon und würde mitsamt dem darauf Geschriebenen für immer in den Weiten der Wüste verschwinden:
Und Du meine Kleine, wirst mir ein hübsches Sümmchen einbringen.“
Abschiedsworte Denbars, Anführer der Krähenkrallen, an Ilayda.
Zwei Frauen, eine davon ihre Mutter, ein Junge an der Schwelle zum erwachsen werden und Ilayda waren die Einzigen, welche den Überfall der Sklavenjäger überleben sollten. Wie Gepäckstücke waren sie verschnürt und auf die Rücken der Pferde geworfen worden, bevor die Gruppe mit ihnen unbekanntem Ziel aufbrach.
Drei Tage später hatten sie die Wüste und Berge hinter sich gelassen und waren in einem kleinen Dorf an der rauen See angekommen Ilayda hatte bislang nur vom Meer gehört, es selbst jedoch noch nie zu Gesicht bekommen und unter anderen Umständen, hätte es ihr sicherlich den Atem verschlagen. Die Naturgewalt des Wassers in seiner Wildheit, doch die Männer ließen ihr kaum genug Zeit um dieses Wunder zu bestaunen.
Die Gefangenen wurden über einen alten Steg zu einem ebenso wenig vertrauenerweckendem Schiff gebracht. Ein breitschultriger Seemann rief den Männern etwas zu, was diese mit freudigem Gelächter beantworteten. Die beiden Kinder wurden unter Deck gebracht. Sie erwartete ein weit gnädigeres Schicksal als die beiden Frauen auf der vor ihnen liegenden Reise.
Anfänglich hörten die beiden Kinder noch die Stimmen der Frauen, wie sie schrien oder um Gnade für sie und ihre Kinder flehten. Ilayda hatte ebenfalls geschrien, geweint und den Wächter angefleht ihre Mutter zu ihr zu lassen. Der Junge hatte es gewagt selbigen in seinem Zorn sogar anzugreifen und nur ein Augenblick früher und er hätte den Säbel zu fassen bekommen. Nun lag er gefesselt neben ihr und atmete flach. Die Augen waren zugeschwollen, die Lippe aufgeplatzt und einige Zähne abgebrochen.
Es war ein ungleicher Kampf gewesen. Der Wächter hatte sich nicht zurückgehalten und seine Überlegenheit in jeglicher Hinsicht gezeigt um dem Jungen, und damit auch ihr, eine Lektion zu erteilen, darüber was sie erwarten würde, sollten sie es noch einmal wagen aufzubegehren.
Die erste Nacht hatte Ilayda geweint doch nun waren ihre Augen trocken. Sie konnte nicht mehr weinen. Wie viel Leid vermag ein Kind zu ertragen und ab wann erstickt die Flamme einer Kerze oder wird zu einer Feuersbrunst? In Ilayda entstand in dieser Nacht ein Funke, welcher eine Flamme entfachen würde.
Nur anhand der Mahlzeiten hätten die Kinder zählen können wie lange sie unterwegs waren, bevor sie in einem unbekannten Hafen anlegten. Als sie dass erste mal seit einer gefühlten Ewigkeit wieder den Himmel sah, war dieser wolkenverhangen. Regen fiel in einer Menge zu Boden und durchnässte ihre Kleidung, wie sie es nur aus der Regenzeit kannte, doch diese lag noch in weiter ferne.
Zwei Schritte vor ihr lief der Junge, beiden von ihnen hatte man einen Eisenreif um den Hals gelegt und die beiden mit einer Kette verbunden. Zwei weitere Manschetten waren um ihre Handgelenke geschlossen worden.und weitere Ketten verbanden das Halsband, wie der Wächter es spöttisch genannt hatte mit den Armreifen.
Im Fackelschein konnte sie alte Mauern erkennen. Modriger Geruch stieg aus dem Hafenbecken in ihre Nase und die Sklavenhändler stießen sie unsanft vorwärts. Die Bohlen, welche das Schiffsdeck mit dem Pier verbanden, waren schwarz und vom vielfachen begehen ausgetreten. Bei jedem Schritt hatte Ilayda das Gefühl sie würden unter ihr nachgeben. Für einen Augenblick keimte die Hoffnung in ihr, ihre Mutter zu sehen, doch jeder Versuch sich umzudrehen wurde mit einem weiteren Stoß in ihren Rücken unterbunden.
Vom leisen klirren der Ketten begleitet stolperte sie mehr als dass sie lief dem Jungen hinterher, vorbei an Gebäuden, welche sie in dieser Art noch nie gesehen hatte. Alter, grauer, unbehauener Stein mit von Moos überwucherten Fugen zusammengehalten. Schwere mit rostigen Eisenbeschlägen versehene Türen und Fenster, welche mit stumpfem Glas verschlossen waren.
Kein Licht oder Laut drang aus dem Inneren der Häuser nach draußen und wenig später bogen wurden ihre Schritte in eine schmale Gasse gelenkt. Worte waren während der ganzen Zeit nicht gewechselt worden, eine jeder der Männer, welche sie führten kannte seine Aufgabe und den Weg. Sie hielten neben einer hinabführenden Treppe an. Nur einer der Männer ging hinab und klopfte an, ein Sichtschlitz wurde zurückgeschoben, unverständliche Worte gewechselt und kurz darauf wurden die Verschleppten die Treppe hinunter geführt.
Der Gang vor ihnen war nicht sonderlich lang. Vor ihnen lief nun ein Mann mit einer Kerze und führte die Gruppe in den nächsten Raum. Eine Treppe führte sie noch tiefer unter die Erde. Sie wurden durch feuchte und dunkle Gänge geführt, weit länger als jedes Haus war, an dem sie auf dem kurzen Weg vorbeigekommen waren.
Aus der Dunkelheit vor ihnen erklang ein scharfer Befehl: „Stehen bleiben, wer da?“ „Denbar. Lasst die Armbrust sinken und macht den Weg frei. Ich will vor dem Morgengrauen wieder fort sein.“ „Ihr wart lange nicht mehr hier Denbar. Ich hoffe ihr habt nicht vergessen, dass ihr Gelmin noch einen Burschen schuldet, nachdem ihr seine letzte Investition niedergestochen habt.“ „Ich bin nicht mit leeren Händen hier. Gelmin bekommt sein Frischfleisch und ich habe noch mehr mitgebracht. Die Fleischschau hat noch nicht begonnen?“ „Die letzten Interessenten werden in kürze eintreffen.“ „Gut. Wir gehen weiter.“
Der Mann mit dem Denbar gesprochen hatte verschwand ungesehen wieder in einer Nische und ließ die Gruppe passieren. Sie bogen noch einmal ab und betraten einen Keller in dem schummriges Licht herrschte. „Bringt den Knaben zu Gelmin. Wir brechen auf, sobald sie verkauft ist.“
Der Junge wurde durch eine Tür fortgebracht, wenig später öffnete sich eine zweite an einer anderen Seite des Raumes. „Bringt eure Ware raus Denbar.“, der Besitzer der Stimme war nicht zu sehen, doch kaum das die Tür wieder geschlossen war, näherte sich der Anführer der Krähenkrallen seiner Gefangenen.
Sie war als Ware bezeichnet worden, wie ein Stück Stoff oder Nahrung auf einem Basar. Tränen hatte sie keine mehr übrig, nur blanker Hass für die Männer, die sie verschleppt hatten und Furcht war ihr geblieben. Sie wollte zurückweichen, doch die Hand des Mannes war schneller und packte sie am Kiefer. Unsanft drehte er ihren Kopf zu sich und zwang sie dazu ihn anzusehen.
Trotzig blickte sie ihn an und wenn Blicke töten könnten, so wäre der Kapitän wohl auf der Stelle tot umgefallen. Seine Mundwinkel verzogen sich zu einem kalten Lächeln. Mädchen mit Temperament erzielten immer einen höheren Preis, soviel wusste er und dann war dort noch diese Tätowierung. Denbar fuhr die kunstvollen Linien, welche von ihrer Schläfe über ihre Wange verlief und sich am Hals fortsetzte, mit seinem Finger nach. Es war eine Arbeit, die von einer Fingerfertigkeit zeugte, wie man sie im Kaiserreich kaum finden konnte. Wo er so darüber nachdachte, sahen die Linien aus wie die obersten Ausläufer einer Flamme.
Falten bildeten sich auf seiner Stirn, als er den geschmiedeten Halsreif mit seinen Fingern erreicht hatte. Die Flammen verschwanden unter dem Reif und setzten sich auf dem Schlüsselbein fort. Wieder begann er wie ein Wolf zu grinsen, denn sollte er recht behalten, so würde er diesen Ort mit sehr viel mehr Reichtümern verlassen, als er erhofft hatte. Ilayda wollte ihre Hände hochreißen, doch ihr Versuch einer Gegenwehr änderte nichts an dem Resultat. Der Stoff des Hemdes hielt dem Ruck nicht stand und ihr Oberkörper war halb entblößt.
Denbar konnte nicht anders als anerkennend zu nicken, denn der Elementarist hatte wahrlich ganze Arbeit bei diesem Kunstwerk geleistet. Die wie Flammen anmutenden Linien zogen sich über die Schulter des Kindes hinweg bis auf den Oberarm. Weitere Flammentätowierungen umrahmten den flachen Brustkorb, zogen sich über die Taille und Hüfte hinweg und verschwanden unter dem Hosenbund. Erst auf dem Oberschenkel hatte der Meister dieses Kunstwerk vollendet.
Denbar strich sich über den Schnurrbart. Dieses Mädchen war wahrlich ein Schatz. Er konnte sich durchaus vorstellen, wie diese Tätowierungen erst wirken würden, wenn aus dem Kind eine Frau geworden war und wenn er dies erkennen konnte, dann sicherlich auch die Fleischbeschauer, die über ihm darauf warteten.
Er entfernte die letzten Stoffreste von ihrem Körper. Jede Gegenwehr unterband er ohne große Mühe, so sehr sich Ilayda auch zu widersetzen versuchte. Denbar packte sie im Nacken und schob sie vor sich her durch die Tür und eine Treppe hinauf.
„Der Handel mit Sklaven ist ein Geschäft wie jedes andere auch. Wir bieten eine Ware feil und je exotischer sie ist, desto mehr verlangen wir für sie. Und Du meine Kleine, wirst mir ein hübsches Sümmchen einbringen“, waren die letzten Worte, welche Ilayda von ihm hörte, ehe er sie durch einen schweren Vorhang stieß.
Beinahe wäre sie gefallen, doch zwei kräftige Hände packten sie an den Armen und richteten sie auf.
Sie wollte schreien, doch ihre Stimme versagte ihr den Dienst. Sie kämpfte mit ihren Gefühlen, versuchte sich den Griffen zu entwinden und musste die Bemühungen schließlich doch einstellen, denn ausgerichtet hatte sie, bis auf die Tatsache dass ihre Arme schmerzten, nichts.
Sie stand auf einer Art Bühne, Fackeln an den Wänden erhellten diese, der Rest des Raumes lag im Halbdunkel. Gestalten saßen an Tischen und unterhielten sich miteinander. „Was haben wir denn hier? Einen wahren Wildfang wie mir scheint.“, die Worte des dickbäuchigen Mannes lösten Gelächter im Raum aus. „Ein wenig aufmüpfig, doch die Herrschaften haben sicherlich ihre Mittel und Wege mit so etwas fertig zu werden.“
Ilaydas Kopf wurde zur Seite gedrückt, als der Mann auf die kunstvolle Tätowierung zu sprechen kam, damit auch alle anderen im Raum sie bestaunen konnten. Wieder versuchte sie sich zu wehren mit dem selben Erfolg wie zuvor. Es fühlte sich an als würde eine Ewigkeit vergehen, bevor sie auf ein einziges Handzeichen hin wieder hinter den Vorhang geschafft und in einen Raum gesperrt wurde.
An der Wand saßen einige Frauen zusammengekauert, sie alle waren aus ihrem Leben gerissen worden, doch wenigstens hatten sie ihre Kleider noch, während das Kind der ihren beraubt worden war. Erst jetzt wurde ihr dies so wirklich bewusst, da die Kälte des Gemäuers ihr in die Glieder kroch. Sie kauerte sich vor Angst und Kälte gleichermaßen zitternd zusammen und vergrub ihr Gesicht zwischen den Knien.
Die Zeit verging und der Raum wurde leerer. Immer wenn die Tür sich öffnete wurde eine der Frauen von den Männern die sie hier hineingebracht hatten aufgegriffen und hinaus gebracht. Die einzige Frage war, wann es Ilayda sein würde.
An einem Tisch vor der Bühne zogen sich derweil die Verhandlungen über den Preis, der für das südländische Mädchen gezahlt werden sollte, in die Länge. Denbar und Tharn saßen sich gegenüber und feilschten miteinander. Ein Sack voll Silberdrachmen sollte am Ende der Preis für die Kindheit Ilaydas sein.
Zufrieden schob Denbar den Sack unter sein Hemd und erhob sich. „Wie immer eine Freude mit euch Geschäfte zu machen Tharn.“, sagte der Sklavenjäger und verließ den Tisch. Der Angesprochene blickte ihm nach, rieb sich die Hände und nahm dann noch einen Schluck des teuren Rotweins, während er darüber nachdachte, wie er seinen neuesten Besitz gewinnbringenden einsetzen konnte. Bis aus dem Kind eine Frau geworden war, würden noch gut und gerne acht Jahre ins Land ziehen, doch Tharn der Wucherer war nie ein Mann gewesen, der nur kurzfristige Pläne schmiedete.
Die Sonne hatte den Horizont bereits rot gefärbt als Ilayda fortgeschafft wurde.
Aus diesem Grund solltet ihr darauf achten, auch den letzten Funken zu ersticken.“
Mündlich überlieferte Worte unbekannten Ursprungs.
Man konnte nicht sagen dass es Ilayda in den zehn Jahren die sie bei Tharn verbracht hatte an etwas gemangelt hätte. Zumindest für ihr leibliches Wohl war gesorgt, doch die Traditionen ihres Volkes, die Erinnerungen an ihre Eltern und das harte Leben in der Wüste verblassten je mehr Jahre ins Land gingen.
Sie war noch ein Kind und konnte das was Tharn für sie im Sinn hatte noch nicht erfüllen, doch bis es soweit war konnte sie in der Küche helfen, Getränke und Speisen zu den Tischen tragen und lernen wie sie sich zu verhalten hatte. Genau dieses Verhalten war Ilayda zuwider. Sie war ein Kind des Feuers und dieses brannte noch immer in ihrer Brust. Eine Flamme die sich nicht einfach ersticken ließ. Tharn hoffte, dass sie sich einen Teil dieses Temperaments behalten würde. Es würde ihm in der Zukunft weit mehr Vergnügen bereiten es zu zähmen.
Zwei mal ging das Temperament mit dem Kind durch, doch Tharn hatte wenig Schwierigkeiten sie zu bändigen. Sie war ihm in körperlicher Hinsicht keine ebenbürtige Gegnerin, doch er musste sie auch an ihren Platz erinnern. Seit dem zweiten Versuch trug sie einen Halsreif, für einige Wochen waren ihre Handgelenke mit Ketten an diesen gebunden, als Strafe dafür, dass sie versucht hatte ihn zu verletzten. Die Ketten und Manschetten hatte er ihr wieder abgenommen, doch den Halsreif würde er erst Jahre später entfernen, jedoch nur um ihn gegen eine andere Art von Ketten auszutauschen.
Die Jahre zogen ins Land und aus dem Kind wurde eine junge Frau, noch nicht ganz an der Schwelle zum erwachsen werden, doch schon jetzt wusste der Wucherer, dass sein Instinkt ihn nicht getäuscht hatte. Tharn ertappte mehr als nur einen seiner „Gäste“ dabei, wie sie ihr einen verstohlenen Blick hinterherwarfen und wenn er ehrlich mit sich selbst war, waren sie nicht allein damit. Es war an der Zeit sie in die fähigen Hände von Tasnia zu geben, damit er in nicht all zu ferner Zukunft ein erstes mal die Früchte seiner Geduld ernten konnte.
Ilayda hatte gelernt, dass es weniger schmerzhaft für sie war den Befehlen ihres Besitzers zu folgen. All ihre Versuche sich in den letzten Jahren zu widersetzen waren gescheitert doch jeder Versuch bedeutete auch, dass das Feuer in ihr noch immer brannte. Dieser Funke war es, an dem sie sich festklammerte und den sie nicht bereit war gehen zu lassen. Über Tasnia wusste sie nur, dass diese die liebste Gespielin Tharns war und so wuchs ihr Unbehagen mit jedem Schritt, den sie nur bedingt freiwillig mit dem Diener an ihrer Seite in Richtung des Gemachs der Frau machte.
Auch wenn der Name auf etwas anderes hindeutete, handelte es sich bei Tasnia um eine Kaiserliche. Dem wenigen was Ilayda aus dem Tratsch der Küchenweiber entnommen hatte, handelte es sich bei ihr um eine Schöne der Nacht, die in den Diensten Tharns stand und ihm die ein oder andere Information zukommen ließ.
Der Diener öffnete die Tür, schob Ilayda hinein und zog sie wieder zu. Der Raum in dem sie sich nun befand war groß, ausgelegt mit allerhand Stoffen, dicken Teppichen und erleuchtet von Kerzen. Ein betörender Duft lag in der Luft. „Ihr habt mich warten lassen Tharn“, erklang die rauchige, allerlei Verlockungen verheißende Stimme und eine Hand schob einen der Vorhänge des mit Kissen ausstaffierten Bettes beiseite.
Es war das erste mal, dass die beiden Frauen sich länger als nur einen Augenblick sahen und der Unterschied zwischen ihnen hätte kaum größer sein können. Ilaydra trug ein einfaches Hemd und einen Rock. Beides hatte schon bessere Tage gesehen und zeigten Spuren ihrer Arbeit in der Küche, doch gewissermaßen machte das was man nicht sofort sehen konnte sie auch interessant, ließ es doch die Phantasie reisen.
Die Andere hingegen saß auf einem Bett, die Beine leger übereinander gelegt und trug wenig mehr als einen Gürtel. Die wenigen Stofftücher konnte Ilayda kaum als Kleidung bezeichnen. Raum für Phantasie ließen lediglich die möglichen Wonnen, welche die Frau Tharn in den Jahren geboten hatte. Sie war deutlich größer als Ilayda, hatte einen athletischen Körper und als sie sich nun erhob ging von ihr eine gewisse Kraft, Eleganz und Anmut aus, wie sie die Raubkatzen der Wüste ausstrahlten.
Zuerst war Tasnia überrascht, doch dann wanderte ihr Blick an Ilayda hinauf und hinab, während sie sich mit der Zunge über die Lippen fuhr und selbige zu einem Lächeln formte. „Dreh dich Kind, lass dich ansehen“, forderte sie Ilayda auf. Das Hemd war weit geschnitten, der Rock zweckmäßig, doch Tasnia entgingen die weiblichen Rundungen nicht, welche sich unter dem Stoff abzeichneten. Das musste sie Tharn zugestehen, er hatte ein Auge für schöne Dinge und sie wusste was er von ihr verlangte. Sie sollte diese Knospe zum blühen bringen.
„Wenn ich dir einen Rat geben soll, lass dich darauf ein. Es wird dir leichter fallen, wenn du es nicht als Zwang siehst und du selbst bist. Dann wird es nicht nur ihm Freude bereiten“, sprach die Schöne und öffnete mit einigem Geschick die Kordel des Rocks. Schwer wie er war glitt er von Ilaydas Hüfte hinab, während die zartgliedrigen Finger Tasnias über ihre Wange und Hals strichen, die eine Hand die Schnüre des Hemdes lösten und die andere sich am Schlüsselbein entlang unter das Hemd schob um es ebenso wie den Rock abzustreifen.
Ilayda zitterte, ihre Hände ballten sich zu Fäusten und die Fingernägel bohrten sich in ihre Handballen. Angst und Wut wurden zum Zunder für den Funken der Glut, welcher in all den Jahren nicht vergangen war. Wäre Tasnia nicht so erfahren, hätte sie der Schlag vielleicht überrascht, doch sie hatte die Anzeichen durchaus bemerkt. Eine kurze Bewegung und sie lenkte die ganze Wucht des Schlages ins Nichts und verdrehte den Arm auf ihren Rücken. Schmerz, wie Ilayda ihn schon lange nicht mehr verspürt hatte raste ihren Arm hinauf. „Lass es Kind, du bist mir nicht gewachsen“, flüsterte Tasnia, dem Schnurren einer Katze nicht unähnlich, in ihr Ohr und verstärkte den Griff noch einmal. Tränen schossen in Ilaydas Augen, bevor der Griff sich lockerte und der Schmerz verging.
„Zuerst muss der Geruch verschwinden. Der Zuber steht hinter der Wand.“ Die Worte ließen keinen Zweifel daran, dass die Jüngere ihnen unverzüglich folge leisten sollte. Tasnia begab sich während dessen wieder auf ihr Bett und leckte sich erneut über die Lippen. Oh ja, sie würde es ebenso genießen wie Tharn.
Tasnia war keinesfalls eine Frau, die sie als Freundin oder gar als Verbündete gewinnen konnte, das hatte Ilayda schon kurz nachdem sie in das Zimmer gestoßen worden war herausgefunden. „Ich werde dir alles beibringen was du wissen musst Kind“, hatte sie gesagt während Ilayda sich in dem Badezuber wusch. „Es ist eine Kunst und wenn Du gut darin bist, kannst Du hier ein angenehmes Leben führen.“
Obwohl das Wasser warm war, lief Ilayda bei den Worten ein kalter Schauer über den Rücken, denn sie verstand durchaus wovon Tasnia sprach. Sie hörte wie eine Tür geöffnet würde und Tharns Stimme erklang. Ilayda verstand nicht jedes Wort, doch ging es wohl um eine Absprache die eine Frist beinhaltete. Einen Mond, dann wäre sie bereit.
Tharn grinste wie ein Wolf, als sein Blick zum Abschied noch einmal über Tasnias Körper glitt und er ihr mitteilte, dass er sie heute Nacht in seinem Gemach erwarten würde, dann schloss sich die Tür wieder.
Die Tage vergingen viel zu schnell. Zwar schlief es sich auf Kissen angenehmer als auf dem Lager aus Stroh, auf dem Ilayda bis dahin geschlafen hatte, doch dafür fühlte sie sich erniedrigt.Tagsüber lehrte die Ältere sie die Kniffe, welche sie sich in all den Jahren angeeignet hatte. Die Kunst der Verführung, sinnliche Blicke, eine sanfte Berührung an der richtigen Stelle konnte einen Schauer auf der Haut erzeugen und die Wärme eines anderen Körpers an dem ihren, all diese Erfahrungen brachte ihr die gefährliche Schöne näher.
Nachts war Ilayda oft allein, denn wenn immer es Tharn danach gelüstete, verbrachte Tasnia weite Teile der Nacht auf der anderen Seite der zweiten Tür zu ihrem Gemach, während es Ilaydas Aufgabe war dem Schauspiel auf der anderen Seite zu lauschen, denn wie die Lehrerin ihr gesagt hatte lag die Kunst auch darin die Männer in ihren eigenen Illusionen zu bestärken. Bislang hatte lediglich Tasnia Ilaydas Körper erkundet, doch sie hatte keinen Zweifel daran aufkommen lassen, wer es nach Ablauf dieses Mondes tun würde und das erfüllte die Lauschende mit Angst und Wut gleichermaßen. Sie hatte darüber nachgedacht ihren eigenen Lebensfunken zu ersticken, doch jedes mal wenn ihre Gedanken darum kreisten war dieser Funke zu einem tosenden Inferno geworden, welches alle anderen Gedanken verbrannte.
Sie wusste, was es zu bedeuten hatte, als Tasnia sie zwei Tage später nach einem Bad einkleidete. Ihr Körper war der einer Frau geworden und die Kleider in welche sie gesteckt wurde unterstrichen dies. Sie schmeichelten ihrer Figur, hoben die richtigen Rundungen hervor und verbargen genug um die Phantasie eines jeden Mannes auf reisen zu schicken.
„Du bist heute Nacht nicht allein“, flüsterte sie ihr mit ihrer verführerischen Stimme zu, und schob sie vor sich her durch die bislang immer für sie verschlossene Tür, zog sie hinter ihnen beiden zu und führte sie weiter auf ein leeres Himmelbett, wo sie sich beide niederlegten. Kurze Zeit später betrat Tharn sein Gemach durch eine andere Tür. Der Anblick, der sich ihm bot verschlug ihm beinahe den Atem. Tasnia räkelte sich auf dem Bett und ihre Finger zeichneten langsam die kunstvollen Tätowierungen Ilaydas nach und Tharn ließ sich nicht ein weiteres mal bitten.
Der Funke in ihr war nicht erloschen, doch in dieser Nacht bäumte sich die Flamme ihrer Kindheit ein letztes mal erfolglos auf und verging, ebenso wie die Kindheit, die Ilayda nie hatte.
Warnende Worte Tharns an Ilayda.
Tharn war wie ein Tier gewesen. Den Stoff hatte er ein seiner Begierde einfach zerrissen und Ilayda wusste kaum wie ihr geschah. Jeder Versuch der Gegenwehr war zwecklos geblieben und was ihr in Erinnerung blieb waren Blut und Schmerzen als sie von Tasnia wieder in das gemeinsame Zimmer geführt wurde.
„Sieh zu und lerne“, hatte die Ältere ihr ins Ohr geflüstert, als Tharn von Ilayda herunter gerollt war. Durch einen Schleier aus Tränen konnte Ilayda beobachten, wie Tasnia den Wucherer nach allen Regeln der Kunst verführte. Es war in diesem Augenblick nicht mehr Tharn der die Kontrolle zu haben schien. Er war vielmehr ein Gefangener in Tasnias Spiel.
„Erinnere dich an den Rat den ich dir gab“, sagte Tasnia als sie zu Ilayda in den Badezuber stieg und fuhr leise fort: „Tharn ist nicht anders als all die anderen Männer. Wenn sie nicht bekommen was sie wollen, nehmen sie es sich mit Gewalt wie du gemerkt hast. Sie werden es nie zugeben, doch dort auf den Kissen gehören sie dir, wenn du es willst. Und dass meine Kleine, ist das ganze Geheimnis.“
Die Nächte der folgenden Tage und Wochen waren nicht besser für Ilayda. Ihre Versuche die Kontrolle zu übernehmen waren meist erfolglos oder nicht von langer Dauer, doch in Tasnias Augen wurde sie besser darin. Nach etwas mehr als einem Monat geschah es das erste mal, das Tharn lediglich Ilayda in sein Gemach kommen ließ und Tasnia zurückblieb. Tasnia feierte es für sich als einen Erfolg. Sie war Tharns Körper ebenso überdrüssig und konnte nun endlich vermehrt eigenen Plänen nachgehen. Einer von diesen beinhaltet gewissermaßen auch Tharn und einige seiner kleinen Geheimnisse, die sie für einen guten Preis verkaufen wollte, bevor sie für immer aus dieser dreckigen Stadt verschwand.
Als Ilayda in einer dieser Nacht wieder in das Zimmer kam, war Tasnia verschwunden. Vermutlich hatte sie einen Auftrag erhalten von dem die Jüngere nichts wusste. Tage an denen sie alleine war waren zwar selten doch nicht mehr ungewöhnlich und gaben ihr die Gelegenheit zur Ruhe zu kommen. Jede Nacht die sie auf den Kissen und Decken des Wucherers verbrachte erfüllte sie noch immer mit Ekel und Abscheu. Sie wusste nicht ob diese Gefühle je vergehen würden, doch Ilayda war froh sie zu haben, zeigten diese doch, dass sie noch nicht abgestumpft und innerlich leer war.
Wie immer wusch sie sich gründlich um den Geruch des Geldverleihers loszuwerden und zumindest das Gefühl zu haben sauber zu sein. Anschließend zog sie sich auf ihr Bett zurück und versuchte zu vergessen. Ruhe in ihren Gedanken fand sie in diesen Zeiten nur selten und wenn doch, so saß sie stumm da und betrachtete eine der vielen Flammen, wie sie langsam und unaufhaltsam den Wachs der Kerzen verzehrten und ihre Gedanken auf eine Reise in ihr Innerstes mitnahmen. Hin zu dem im Nichts stehenden Feuer, welches umgeben von Finsternis noch immer brannte. Ilayda wusste nicht woraus diese Flammen ihre Nahrung bezogen, doch sie fühlte sich in diesen seltenen Augenblicken geborgen, stark und auch rastlos.
Tasnia hatte sich seit nun fast zwei Monden nicht mehr sehen lassen, was zweierlei mit sich brachte. Ilayda hatte mehr Zeit die sie alleine verbrachte, allerdings musste sie auch öfter als zuvor die Gesellschaft des Wucherers erdulden.
Ein Klopfen an der Tür mit dem kurzen Befehl „Mitkommen!“ riss sie aus ihren Gedanken. Anscheinend wollte Tharn wieder jemanden empfangen und wünschte Ilaydas Anwesenheit. Die letzten Male sollte sie lediglich verführerisch auf den Kissen vor seinem Thron liegen. Einmal war sie für eine Nacht Teil des geschlossenen Handels gewesen, doch als Ilayda dieses mal hinter dem wuchtigen Stuhl hervortrat um sich zu den Kissen zu begeben blieb sie überrascht stehen.
Einige Schritte vor den Kissen lag eine geknebelte Frau in lederner Rüstung, die Hände und Beine verschnürt. Wenn auch weniger offenherzig gekleidet als sonst, erkannte Ilayda sie als Tasnia. Ein unsanfter Stoß zwischen ihre Schulterblätter erinnerte sie daran weiterzugehen und sich auf den Kissen niederzulassen.
Der Wächter verschwand wieder und für einige Augenblicke, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, waren die beiden Frauen alleine in dem Raum. Schweigend sahen sie sich an und Ilayda war sich sicher so etwas wie Furcht in den Augen der sonst immer so selbstsicher Auftretenden zu sehen. Nein es war keine Furcht. Tasnia hatte Angst. Angst um ihr Leben.
Beide hörten sie wie sich die Tür öffnete. Tharn kündigte sich mit seinen schweren Schritten an. Ilayda musste sich nicht umblicken, denn anders als sonst ging der Wucherer direkt an ihr vorbei, bückte sich und riss Tasnia an ihrem Schopf hoch.
„Dachtest du Miststück wirklich das du entkommen kannst? Zuerst bestiehlst du mich, dann verschwindest du und willst abhauen?“, Ilayda zuckte zusammen, als Tharns flache Hand Tasnias Wange fand. Der Kopf würde zur Seite gerissen und hätte der Wucherer den sie nicht mit der anderen Haar am Haarschopf gepackt, so wäre Tasnia wohl auf dem Boden aufgeschlagen. Der Handrücken fand ihre andere Wange und riss sie zur anderen Seite. Blut lief über Tasnias Gesicht, an den Stellen wo statt der baren Hand Ringe ihr Gesicht getroffen hatten. Ilayda hatte aufgeschrien, doch Tharn ignorierte es einfach und schlug ein weiteres mal zu. Ein Tritt in die Magengrube raubte ihr den Atme und ließ sie vornüber kippen.
Tharn ging in die Hocke und riss sie am Kinn hoch. „Ich habe immer gut für dich gesorgt und so dankst du es mir, mit Verrat und du weißt was Verräter erwartet“, wenn in seiner Stimme einmal soetwas wie Freundlichkeit war, so war es nun vollkommen verschwunden. Sein Knie traf den Kiefer, Knochen brachen als der Kopf nach hinten geworfen wurde und der Körper folgte. Einmal hatte Tasnia Ilayda vor Tharns Jähzorn gewarnt, wenn Ilayda nun sah wie Tasnia zugerichtet wurde, hoffte sie nie selbst Ziel dieses Zorns zu werden.
Ein Tritt in den Unterleib gefolgt von einem weiteren in die Magengrube und an den Kopf. Von der Frau ging nur noch ein wimmern aus, doch Tharn ließ nicht nach und deckte sie noch mit einigen weiteren Tritten ein. Schnaufend ging er wieder in die Hocke und richtete Tasnia wieder auf. Mit seiner Hand presste er den gebrochenen Kiefer zusammen, was ihr ein weiteren schmerzvollen Schrei entlockte. „Ich hatte dich wirklich gern Tasnia“, sprach er und zog seinen Dolch aus dem Gürtel.
„Schau hin!“, befahl er mit einem Blick über die Schulter. Ilayda hatte sich abgewendet, sie wollte das was kommen würde nicht sehen, doch den Zorn, der bei einer Weigerung in dieser Nacht über sie hereinbrechen würde fürchtete sie noch mehr.
„Versuche niemals mich zu hintergehen oder Du wirst das selbe Schicksal erleiden“, sprach er als er den Dolch unter Tasnias Brust zwischen ihre Rippen stach. Ilayda konnte sehen wie das Leben den Körper der Frau verließ, die Augen weit aufgerissen war sie das letzte, was Tasnia sehen würde. Blut kam aus dem Mund, floss über Tharns Hand und tropfte auf den Boden. Das Leder der Rüstung färbte sich dunkel, an der Stelle wo der Dolch sie durchbohrt hatte. Mit einem Ruck zog der Wucherer ihn wieder heraus. Jeder Herzschlag presste mehr Blut aus der Wunde. Das Wimmern wurde immer schwächer und Tharn ließ es mit einem raschen Schnitt durch Tasnias Kehle endgültig verstummen. Ein leichter Stoß reichte und der leblose Körper fiel nach hinten.
Ilayda zitterte am ganzen Körper als Tharn an ihr vorbei ging. Er blieb nur einen kurzen Augenblick stehen um die Wirkung seines Werkes auf sie zu bewundern, dann ging er weiter. Um den Körper Tasnias hatte sich eine Blutlache gebildet, als der Wächter Ilayda an der Schulter packte und wieder zurück auf das Zimmer brachte. Sie war froh das Tharn an diesem Tag nicht noch einmal sah.